Zur Erinnerung an Gretl Ledermayer
Gretl Ledermayer, geborene Zwieb, stammt aus einer alten Laaer Familie. Bereits ihre Mutter und Großmutter betrieben in Laa ein Handarbeitsgeschäft, das auch von ihr (gemeinsam mit ihren beiden Schwestern) weitergeführt wurde. Ich wurde schon ziemlich früh auf sie aufmerksam und besuchte die Schwestern zuerst für ein Interview über die Laaer jüdische Gemeinde. So kann ich sagen, dass ich „Tante Gretl“, wie ich sie später nennen durfte, gut 15 Jahre gekannt habe.
Gretl Ledermayer war keine Widerstandskämpferin, sie hat niemandem das Leben gerettet, doch war sie einer der ganz wenigen „Gerechten“ in Laa. Als es darum ging, beim Notar zu bestätigen, dass Karola Österreicher (verheiratete Zucker) in Laa geboren worden war, fragten wir zuerst eine ehemalige Schulkameradin von Karola, Helga K., mit der sie sich auch nach dem Krieg mehrmals getroffen hatte, obwohl Helga ihr zur Zeit des Anschlusses gesagt hatte, dass sie ab jetzt nichts mehr mit ihr zu tun haben wolle, da ihr Vater ihr den Umgang mit Juden verboten habe. Doch großzügig wie Karola war, meinte sie dazu, man müsse über Dinge hinwegsehen und sich an das Schöne in der Jugend erinnern (Gedächtnisprotokoll vom 11.8.1997)
Natürlich war der Vater der besagten Klassenkollegin zu dieser Zeit seit langem nicht mehr am Leben und die ehemalige beste Freundin hätte ihr Verhalten in Jugendtagen nun wettmachen können. Doch obwohl sie mit Karola jahrelang in die gleiche Klasse gegangen war und auch Karolas Eltern als Kind gut gekannt hatte, fiel die Antwort negativ aus. Sie könne nicht unterschreiben, dass Karola in Laa geboren sei, denn sie „war ja nicht bei ihrer Geburt dabei gewesen“. Die um ein paar Jahre ältere Gretl sagt sofort zu. Sie wisse doch, dass die Familie immer in Laa gelebt hätte und Karola als Kind immer in Laa war. Ohne ihre Unterschrift hätte Karola nie den ersehnten österreichischen Pass bekommen können.
Ihre Ehrlichkeit war eine Eigenschaft, die Gretl Ledermayer von vielen ihrer Altersgenossen abhob. Als junge Frau bewarb sie sich beim Salzburger Marionettentheater und wurde prompt aufgenommen. Mit der Truppe reiste sie trotz des beginnenden Kriegs weiter herum. Eines Tages sollten sie ein Gastspiel in Warschau geben. Dazu kam es nicht. Jedes Mal, wenn sie davon erzählte, merkte man, wie sehr die Erinnerung sie belastete. Obwohl die Fenster des Hotels mit Brettern vernagelt waren, hörte sie die Schüsse des Gettoaufstands, wusste genau, was geschah, und dass die heldenhaften Kämpfer keine Chance gegen die Nazitruppen haben würden.
Gretl Ledermayer hätte nie geleugnet, dass sie genau wusste, was vorging. Sie bevorzugte die Schrecken der Erinnerung, wo es sich andere durch kollektives Vergessen nur allzu leicht machen.
Es war mir eine Ehre, Gretl kennengelernt zu haben. Eine wirkliche Dame, eine Frau mit Gerechtigkeitssinn. Unsere gemeinsamen Nachmittage zuerst in ihrem Wohnzimmer und später im Laaer Altersheim werden mir immer in Erinnerung bleiben. Ihre Art, wie sie mich „Herzerl“ nannte, klingt noch in meinen Ohren. Am 2. September 2008 war ich in den letzten Minuten ihres Lebens bei Tante Gretl – sie lag schon tagelang im Sterben – ich war im Urlaub und dachte, ich würde sie nicht wiedersehen – doch es kam anders, sie ging 45 Minuten, nachdem ich es vom Flughafen zu ihr geschafft hatte. Ruhe in Frieden, Tante Gretl!