Lilly Eisinger (Kolb)

Interview mit Lilly Kolb (21. 7. 1994)

Das folgende Interview habe ich in Los Angeles mit Lilly Kolb, einer gebürtigen Mistelbacherin, gemacht. Die Fotos stammen aus der Zeit zwischen 9. und 24. 7. 1994, die meine Eltern, meine Schwester und ich bei Lilly und ihrem Mann, Josef, verbracht haben. Josef war ein Neffe von Moritz Drill aus Laa. Lilly ist in Mistelbach, Josef in Gaweinstal (damals noch Gaunersdorf) aufgewachsen. Lilly lebte bis zu ihrem Tod in Culver City bei Los Angeles.

Das Interview bietet einen Einblick in die vergangene jüdische Welt des Weinviertels. Es wurde auf Kassette aufgezeichnet und ist deshalb in völlig authentischer Sprache gehalten. Die Interviewsituation ist typisch, da Lilly zuerst nur wenig einzufallen schien und die Erzählpassagen im Laufe des Gesprächs immer länger, informativer und kurzweiliger wurden.

Da Lillys Briefe gemeinsam mit Josephs ankamen und beide teilweise unterschrieben finden sie sich auch hier gemeinsam mit Josephs Briefen.

Leider ist Lilly 2011 von uns gegangen. Lesen Sie auch die Nachrufe für Lilly auf der Webseite der Los Angeles Times .

Weißt Du wann Deine Eltern geboren worden sind?
Nein, weiß ich nicht.

Das Jahr ungefähr auch nicht?
Nein auch nicht. Im 19. Jahrhundert natürlich, logischer Weise. Und sie haben sehr jung geheiratet. Mein Vater war schon 30 oder 32 und meine Mama war 19 oder 18 und hat mich gehabt sehr jung. Und wie ich Österreich verlassen hab war ich schon 28 und meine Mama war 51. Also kannst dir ausrechnen wann ich geboren worden bin, 1909.

Wo haben Deine Eltern geheiratet?
Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich im Mistelbacher Tempel. Weil meine Mama kommt von einem Dorf, da war nur eine jüdische Familie und in Mistelbach waren viele jüdische Familien mit einer großen Kultusgemeinde. In der Mistelbacher Kultusgemeinde habe ich mit dem Joseph gezählt einmal waren über 60 jüdische Familien in Mistelbach, darum war die Community so groß und wie du weißt, der Friedhof hat so viele Gräber. Müssen viele Juden dort gewesen sein.

Die Rabbiner in Mistelbach, waren die aus Mistelbacher Familien?
Nein. Ich weiß nicht von wo sie waren. Als kleines Kind war dort ein gewisser Regner, der Kantor Regner und durch Zufall – ich hab die Söhne gut gekannt natürlich – und einer der Söhne hat emigriert nach Amerika und wir sind bis heute noch mit seiner Frau in Verbindung. Das heißt, mit der Schwiegertochter von unserem Kantor wie ich 5 Jahre alt war. Wie ich das zweite Mal in Mistelbach war, war auch ein Rabbiner, aber ich kann mich nicht mehr auf seinen Namen erinnern. Er hat einen Chor von uns jungen Kindern errichtet und ich hab im Chor gesungen in Mistelbach mit all den jungen Leuten die mit dem gleichen Alter mit mir waren. Wir haben den Schabbes-Abend also Freitag Abend im Tempel verbracht. Natürlich sind alle Eltern von uns in den Tempel gekommen, die Männer, also der Onkel und mein Vater und von den Kindern wieder der Vater und es war immer ein Gottesdienst. Ich glaube, das haben die Kinder gemacht weil sie gesungen haben. Samstag Vormittag haben wir nicht gesungen, nur Freitag abend.

Wie alt warst Du, als Du in dem Chor warst?
13, 14 Jahre – 14 ½ vielleicht – also die letzte Bürgerschulklasse hab ich in Mistelbach verbracht. Die dritte Bürgerschulklasse und die zweite nur ein halbes Jahr. Also 1 ½ Jahre war ich in Mistelbach. Mein Vater ist ja gestorben und in Mistelbach begraben. Gott sei Dank normal gestorben – Gott sei Dank.

Grabstein von Karl Eisinger – Lillys Vater – am Mistelbacher jüdischen Friedhof – die Etiketten rechts unten haben Lilly und Joseph bei ihren Besuchen am Mistelbecher Friedhof in den 1980ern angebracht

An einer Krankheit.
Ja, er war immer leidend die letzten Jahre. Deshalb sind wir ja zurück nach Mistelbach, weil sonst wären wir ja in Wien geblieben. Das war der Grund wieso er wieder nach Mistelbach gegangen ist.

Wieviel Kinder waren ungefähr in dem Chor?
Ah, na vielleicht 10 oder 12 Kinder. Im gleichen Alter wie ich na vielleicht ein Jahr älter oder ein Jahr jünger – Bürgerschulkinder. In meiner Schulklasse waren 4 jüdische Kinder, was sehr selten vorgekommen ist, und dadurch war die Verbindung unter uns jüdischen Kindern viel, viel größer wie bei den anderen Generation. Ich kann nicht mehr deutsch. Aber jedenfalls so war es und wir waren im Chor und oft sing ich heute noch mit meinem Mann Freitag abend die Lieder die wir im Chor gesungen haben. Ein paar weiß ich noch auswendig. In meinem Alter hab ich mich noch erinnert.

Hebräische Lieder?
Ja, ja natürlich. Das Schema Jisrael, das kann ich. In Amerika hat das eine andere Melodie. Die singen das hier anders. Also ich hab das gesungen als junges Mädel im Tempel und hier natürlich wenn ein Gottesdienst war hab ich auch das Schema Jisrael gehört, aber in einer anderen Melodie. So, was willst jetzt noch wissen. Meine Generation ist nicht deportiert worden im Prinzip. Wir jungen Leute sind alle weg unter Hitler, aber unsere Eltern, die Generation vor mir sind alle deportiert worden. Außer der Laaer Goldreich, die du den Namen nach kennst und die Schwägerin von ihm meine Tante, die sind nicht deportiert worden. Alle andern von meiner Elterngeneration sind alle vernichtet worden.

Sind die Goldreichs ausgewandert?
Ja, die sind ausgewandert nach Belgien und der Sohn von meinem heutigen Mann, das heißt Onkel und Tante haben das Kind beaufsichtigt – Fredy, du kennst Fredy. Das ist etwas was wirklich eine Sensation ist, daß ich durch Zufall wieder zurückgekommen bin in die Familie durch die Laaer Goldreich. Weil die erste Ehe von den Laaer Goldreich war eine Schwester von meinem Vater.

Wie würdest Du Deine Mutter und Deinen Vater charakterisieren?
Mein Vater hat den Charakter so wie ich gehabt. Das hab ich von ihm geerbt. Sehr – ich weiß nicht. Meine Mutter war immer sehr hoch hinaus. Sie kommt aus sehr reichem Haus und hätte das nie miterleben können was ich miterlebt hab, diese Erniedrigung. Aber sie war lieb zu mir, hat mir eine phantastische Erziehung zukommen lassen, die mir immer im Leben sehr geholfen hat. Und ich bin meiner Mutter besonders dankbar, daß ich das Glück gehabt hab meine Profession so gut zu lernen. Ich war immer eine Schneiderin. 56 Jahre war ich Schneiderin mit einem kolossalen guten Erfolg und hab mir immer mein Stückerl Brot verdient – Gott sei Dank. Muß ich dem lieben Herrgott danken.
Meine Mutter war immer hoch hinaus, immer, sie ist nicht vom hohen Roß heruntergestiegen nicht wenn sie hat einen Penny in der Tasche gehabt.

Wo hast Du Religionsunterricht gehabt?
Ich hab leider kein Sprachentalent und meine Eltern waren nicht sehr religiös. Meine Großmutter war sehr fromm und sehr religiös.

Von welcher Seite?
Von Vaterseite, von Mistelbach. Die Großmutter war ein Ehrenmitglied von der Kultusgemeinde. Du weißt es auch sie liegen am Friedhof am Ehrenfriedhof, also muß ich dir das nicht noch einmal erklären. Die Schule in Mistelbach bin ich ja nur die letzten 2 Bürgerschulklassen gegangen, in Wien hab ich alle Klassen gemacht und in Religion hab ich gehabt einen Vierer – schlecht. Biblische Geschichte hat mich interessiert, aber das Hebräische ist mir nicht in den Kopf hineingegangen und ich wär bald sitzengeblieben wegen der Religion. Im normalen Zustand war ich ein ausgesprochen guter Lerner, ein gutes Kind. Da haben mir meine Eltern einen Privatlehrer genommen in Religion sonst wär ich sitzengeblieben.

Wo war der Religionsunterricht, in der Schule?
Nein extra. Die Religionsunterrichte waren extra, die waren nie in der Schule. Außerdem war ich ja in den Kriegsjahren. Da waren viele Schulen gesperrt als Spitäler für die Soldaten und die Religionsstunden waren extra in einer Schule. In einer Schule, aber extra nicht dort wo meine Schule war. Ich glaub in Wien waren nur die Mädchen extra in der Religionsstunde. Aber in Mistelbach war ich mit die Buben auch in der Religionsstunde, denn das war doch eine kleine Kultusgemeinde. Also in Wien war das extra und auch extra Stunden. Und der Religionslehrer der zu mir gekommen ist, der ist ja ins Haus gekommen, zu mir nach Haus. Ich hab eine wunderbare Erziehung genossen Gott sei Dank. Bin ich meinen Eltern sehr dankbar darüber. Ich hab immer Gouvernessen gehabt und meine Eltern haben keine aufgenommen, wenn sie nicht konnte Französisch und Klavier spielen. Denn zu der Zeit war Französisch die Diplomatensprache. Heute ist es Englisch, nicht. Also das hat sich geändert.

In Mistelbach beim Religionsunterricht, wart ihr alle im selben Alter?
Ich glaube wir waren alle im selben Alter. Vielleicht 1 Jahr jünger, aber von der Bürgerschulklasse, das waren dann also höchstens 2 oder 3 Jahre Unterschied. Vielleicht ein paar älter wie ich und ich kann mich erinnern, ein Mäderl war jünger wie ich. Die hab ich dann noch einmal in Melbourne getroffen.

Wie viele Kinder waren ungefähr in der Gruppe?
In der Schule, das waren vielleicht 10, 12 Kinder mit denen ich sehr close war und dann wie ich schon in Wien war und bin wieder nach Mistelbach haben wir gespielt wir hätten einen jüdischen Turnverein Maccabi gegründet in Mistelbach. Und eine Familie hat gehabt so ein Turngerät wo 2 Stangen sind und wo man sich hält auf die Hände. Da haben wir gesagt, wir machen ein Maccabi. Da waren wir 5, 6 Kinder und haben gespielt Maccabi, weil in Wien als Kind war ich im Maccabi-Turnverein und wenn ich bin zu den Ferien nach Mistelbach gekommen haben wir gespielt Maccabi. – Kindheitserinnerungen

Gab es irgendwelche jüdische Vereine für Kinder oder Erwachsene in Mistelbach?
Nein. Nur die Kutusgemeinde und der Tempel. Zu die Feiertage sind alle Leute natürlich gekommen. Die Frauen extra und die Männer extra. Die Männer waren im Parterre und die Frauen im 1. Stock. Das war. Aber einen jüdischen Verein hat’s nicht gegeben. Aber die Antisemiten waren immer groß in Mistelbach, das will ich betonen. Immer groß. Ich erinner mich wie ich vielleicht 4 Jahre alt war bin ich mit meiner Cousine, die ist 1 Jahr älter übern Hauptplatz gegangen, hat man mir nachgerufen: “Jud, Saujud, Jud, Saujud“ und so. Meine Cousine – ich hab sie gefragt, sie konnte sich nicht mehr erinnern, aber ich habe mich gut erinnern können, wie mir die Kinder nachgerufen haben Saujud. Und wir haben zurückgerufen – das kennst du vielleicht weil du doch in Israel warst – Koscher Casafießl. Koscher, weißt du was koscher ist und Casa ist das Schwein, das Casafleisch was die Juden nicht essen und das Fießl ist der Fuß. Koscher Casafießl haben wir zu den christlichen Kindern gerufen die uns Saujud gerufen haben. Jetzt weißt du wie die Situation war. Das sind Erinnerungen von mir, daß Mistelbach sehr antisemitisch war, sonst hätten mir das die Kinder nicht nachgerufen, wie ich noch so klein war.

Die christlichen Kinder haben gewußt was Koscher Casafießl heißt?
Das weiß ich nicht. Die Christlichen Kinder haben uns bestimmt nicht verstanden. Wir haben uns einen Spaß gemacht und haben zurückgeschrien Koscher Casafießl. Wenn sie geschrien haben Saujud haben wir gerufen Koscher Casafießl. Wir haben uns verteidigt. Das Jiddisch hab ich eigentlich more or less von der Großmutter. Die ist gekommen aus dem Getto von Mähren. Wie der Kaiser Franz Josef die Gettos hat aufgelöst ist die Familie Eisinger gekommen nach Mistelbach. Das ist auch sehr interessant, nicht.

Hat Deine Großmutter daheim Jiddisch oder deutsch gesprochen?
Die hat deutsch gesprochen, aber mit ein bissl Akzent Jiddisch. Und wir haben einen Knecht gehabt, wir waren doch Viehhändler und der hat wunderbar Jiddisch verstanden. Der war bei uns so lang er gelebt hat. Und der hat mit der Großmutter immer nur Jiddisch gesprochen. Der hat besser Jiddisch können wie ich, weil meine Eltern war’n nicht fromm.

Würdest Du sagen, daß die anderen Mistelbacher jüdischen Familien eher fromm waren?
Na schau, Schabbes war immer Minje und Freitag abend, dadurch, daß ich im Chor war waren auch die Eltern, die Männer, also war immer Minje. Ganz selten, daß nicht Minje war. Zu den Feiertagen war natürlich ein großer Andrang in der Gemeinde und alle haben sehr zusammengehalten. Interessanter Weise im hohen Alter wie wir schon alle emigriert waren haben wir uns die Mistelbacher Jugend versucht in Kontakt zu kommen und teilweise ist es mir auch gelungen in dem hohen Alter von all meinen Schulkollegen wieder in Kontakt zu kommen. Einer ist in Argentinien, einer war in Colorado und in Australien hab ich 3, 4 oder noch mehr getroffen und in Frankreich waren junge Leute von mir und immer wieder – und in New York natürlich in Amerika – und immer wieder und auch der Joseph mein Mann, es hat immer wieder die Jugend uns zusammengeführt. So wie du wirst wahrscheinlich einmal finden deine Freunde 10 Jahre später vielleicht einen in Israel und so ist es mit uns auch. Wenn man alt ist kommen die Jugenderinnerungen zurück und ich bin froh du erinnerst mich. Deine Familie ist jetzt hier und das macht mir viel Freude, denn es kommt vieles zurück, wenn ich mit deiner Mutter stundenlang sprich im Hof, nicht, kommt mir vieles zurück. Na heute hat sie mir was besonders schönes erzählt. Sie hat mir eine Zeichnung gemacht von eurem Haus wo du wohnst. Und sie hat mir gezeigt wo dein Schreibtisch steht und wo dein Bett ist, wo du dein Fotell hat wo du sitzt und du hast einen Teppich und die anderen haben keinen Teppich also jedenfalls bin ich mit euch viel näher gekommen heute. Und wie der Stiegenaufgang war und der ist noch in den Keller hinuntergegangen, also du kannst mir nichts mehr erzählen, ich weiß alles. War sehr amüsant wie sie mir das alles erzählt hat. na dein Vater weiß genau mein Geburtshaus, der ist doch ein Lanzendorfer, der weiß ganz genau in Mistelbach jedes Haus und alles kennt er.

Wie du als Kind in Mistelbach warst, warst Du vor allem mit jüdischen Kindern zusammen?
Vor allem war doch die Familie da und die haben alle viele Kinder gehabt wie du an meinem Stammbaum siehst. Und ich war die Jüngste und ich war nur das einzige Kind. Also ich kann dir sagen, ich hab christliche Freundinnen auch gehabt, aber die haben bei uns im Haus gewohnt, du verstehst. Ich bin nicht aus dem Haus. Mit 4, 5 Jahre kommst ja nicht alleine aus dem Haus, wenn nicht einer zu dir kommt. Na da hab ich g’habt eine Freundin, Orowitz haben sie geheißen, mit ihr bin ich auch dann später in der Bürgerschulklasse gegangen, mit der hab ich schon gespielt als kleines Kind, weil sie war im Haus, du verstehst. Und sonst waren die Familienkinder. Ich hatte eine Cousine – die habe ich heute noch Gott sei Dank von allen meinen Verwandten, die war um 1 Jahr älter und mit der war ich natürlich – am Hauptplatz hat man uns nachgerufen – sehr in Kontakt. Ich war immer sehr in Kontakt mit meiner Cousine.

Wurde allgemein in Mistelbach koscher gegessen?
Im Allgemeinen hat es einen koscheren Schächter gegeben und der war zufällig vis-à-vis von meiner Großmutter, die natürlich sehr sehr fromm war und meine Familie hat auch koscheres Fleisch gehabt. Also wir zu Hause haben kein koscheres Fleisch gehabt, aber wir haben nicht Schweinernes gegessen, höchstens einen Schinken. Meine Eltern waren nicht fromm ich hab dir es ja g’sagt. Aber die andere Generation, wo die vielen Kinder waren, was du dir hast aufgeschrieben, die Tante hat koscher gekocht und eine Cousine von mir hat einen sehr Orthodoxjuden geheiratet und die sind nach Amerika ausgewandert und waren immer Orthodoxjuden. Ich weiß nicht, jetzt ist sie Witwe nach so vielen Jahren ob sie noch immer koscher ißt, ich weiß es nicht. Ich frag sie nicht, ich bin froh sie hat was zu essen in dem hohen Alter werd ich nicht fragen, was sie ißt, nicht.

War der Schächter der selbe Mann wie der Kantor?
Das ist der selbe gewesen. Der hat die Broche gemacht und hat den Hendln den Hals durchgeschnitten und den Kühen natürlich auch. Und der Fleischhauer vis-à-vis von der Großmutter hat das koschere Fleisch gehabt. Hat’s extra liegen gehabt. Weißt du, extra. Und dann natürlich, meine Eltern waren doch Viehhändler na da hat er eine Kuh von uns genommen und hat reserviert das koschere Fleisch extra, weil ich glaub das muß nur das hintere Fleisch sein oder nicht das vordere, irgendwie gibt es eine Abteilung zwischen koscher und nicht koscher Fleisch. Wie das ist weiß ich nicht mehr, das hab ich schon vergessen.
Wurstsorten sind geliefert worden von Wien und dort hat man die Wurst gekauft.

Milchig und Fleischig war getrennt?
Unbedingt. Ich erinnere mich meine Großmutter hat gehabt eine milchige Seite wo sie die Häferln gehabt hat und die Milch und eine fleischige Ecke und ich erinnere mich, wenn die Buben mich besucht haben, wie ich schon in Wien war und ich war auf Sommerfrische in Mistelbach – ich war in einer jüdischen Jugendbewegung – sind die Buben mich besuchen gekommen und die Großmutter das erste was sie die Buben gefragt hat war „Habt’s ihr milchig oder fleischig gegessen“. Weil man darf ja das nicht zusammen essen. Aber ich erinner mich ganz genau, weil es war ein jüdischer Großgrundbesitzer und da sind die jungen Burschen, die nach Israel auswandern wollten, haben praktiziert bevor sie nach Israel ausgewandert sind. Das war 1925, 1927.

Der Großgrundbesitzer war in Mistelbach?
Dieser jüdische Grundbesitzer war in Ladendorf. Ich weiß nicht mehr wie er geheißen hat, ich glaub Smetana. Und der hat die jüdische Jugend genommen, die auswandern wollten nach Israel.
(Unterbrechung durch ein Telephonat)
Wie ich nach dem Krieg dann war ein Waisenkind bin ich doch in ein Waisenhaus gekommen. Das war auch koscher und ein jüdisches Waisenhaus. Wir Kinder, also die Kinder die mit mir waren alle Kriegs-refugee, also Waisenkinder vom Krieg, vom ersten Weltkrieg. Dort wurde auch nur koscher gegessen und ich kann mich erinnern, wir haben viel Essen von Amerika bekommen, viele Konserven. Besonders die Kondensmilch, wenn sie so süß war und ich war der Liebling von der Köchin und so hat sie mich ausschlecken lassen die Konservendosen von der Milch. Und das sind für mich Jugenderinnerungen logischerweise, denn heute bin ich ja eine alte Schachtel mit 85.

Das Waisenhaus war in Wien?
In Wien in der Leopoldsgasse, Ecke Schmalzgasse, im 2. Bezirk und das letzte Mal wie ich in Wien war hab ich mir die Gegend angeschaut. Das heißt noch immer Elisabethheim, ist aber ein Altersheim. Und wo ich beim Fenster hinausgeschaut hab sind jetzt wahrscheinlich kleine Wohnungen oder Schlafzimmer. Das weiß ich nicht, ich bin nicht hineingegangen.

Wenn man eine Köchin eingestellt hat mußte das eine Jüdin sein oder hat man ihr einfach gesagt, wie sie kochen muß?
Das weiß ich nicht. Die Großmutter hat immer jemanden gehabt zum Helfen, aber gekocht hat sie immer. Meine Eltern waren nicht fromm. Wir sind ja nach Wien gezogen. Da war der Koch da fürs Kaffeehaus. Meine Eltern haben Kaffeehäuser gehabt. Also ich weiß nichts von koscherer Küche, überhaupt nichts.

Bist Du in Wien mit Deinen Eltern auch in die Synagoge gegangen?
Nein, nur in Mistelbach. Aber ich war vom Waisenhaus in der jüdischen zionistischen Jugendbewegung. Und dadurch sind ja die Buben gekommen nach Mistelbach. Ich war in Mistelbach und sie haben mich aufgesucht und die Großmutter hat sie gefragt ob sie milchig oder fleischig gegessen haben. Aber ich war immer in jüdischen Kreisen, immer, immer. Und ich hatte einen Onkel, wie ich dir bereits schon gesagt habe der war ein großer Sozialist und hat kolossale Ehren gehabt in dem sozialdemokratischen System und der hat sich immer gewundert, daß ich bin in der jüdischen Jugendbewegung und nicht bei den Sozialdemokraten, die haben geheißen Jugendfreunde zu der Zeit wie ich war 15, 16 Jahre alt.

Könntest Du mir die Synagogeneinrichtung von Mistelbach beschreiben.
Naja, der Altar war höher und die Thora war an der Wand mit einem Kasten eingezäunt und da hat man dann die Thora herausgenommen. Man hat die Thora gelegt auf dieses Pult und man hat Leute aufgerufen und sie haben von der Thora gelesen. Wir, unser Chor, der war in der ersten und zweiten Reihe der Männerabteilung. Die Frauenabteilung war ja normal gesperrt. Keine Frau ist ja normal in den Tempel gegangen, nur zu den Feiertagen. An Feiertagen war der Tempel voll, denn es waren ja mindestens 60 Familien in Mistelbach und außerdem haben noch die verschiedenen anderen Dörfer, wo Juden waren, auch gehört zur Kultusgemeinde Mistelbach. Wie du ja gesehen hast am Friedhof in Mistelbach, daß sogar die Leute von Laa begraben waren am Friedhof.

Hast Du als Mädchen wie die Andrea eine Bat Mitzwa gehabt?
Nein. Das hat zu der Zeit nicht existiert, daß Mädchen eine Bat Mitzwa haben, nur die Buben.

Auch nicht zu Hause?
Nein, nein hat’s nicht gegeben. Nicht zu der Zeit wie ich 13 Jahr alt war. Nein, hat’s nicht gegeben.

Hat es einen Schatchen gegeben?
Zu meiner Zeit nicht mehr. Zu der Zeit wie meine Mutter geheiratet hat schon. Da wurden die Ehen zusammengesprochen unter anderem eben die Tante aus Laa ist mit ihrem Bruder, also meinem Vater zur Brautschau gefahren nach Mähren meine Mutter zu heiraten. Da war die Begleitungsperson die Berta Goldreich von Laa. Das war damals so Sitte. Und dann haben die Juden ja auch meistens wieder im Dorf zusammengeheiratet, nicht. Da hab ich dir gesagt, eine Cousine hat einen Edelhofer geheiratet, der war aus Pirawarth oder aus Gaunersdorf. Also man hat immer wieder die Gemeinde zusammengeheiratet. Eine hat einen geheiratet von Laa, eine Mistelbacherin. Also in der community. Ich weiß nicht ob man noch geschatchet hat in meiner Familie, ich glaube nicht. Wir haben uns selber gesucht unsere Männer. Meine Cousine, was jetzt noch lebt in Paris, die hat durch Zufall einen Mann kennenlernt. Wir 3 Cousinen waren bei einem 5-Uhr-Tee am Café Graben und ich hab einen oder zwei Tänzer gefunden und meine andere Cousine die hat überhaupt keinen Tänzer gefunden und meine Cousine, die heute noch lebt, die hat einen Burschen gefunden und sie haben gesprochen zusammen und wie sie sagt, sie ist aus Mistelbach sagt er, er hat einen Onkel und Tante in Mistelbach und das waren Nachbarn. Also so haben die sich getroffen im Leben und haben geheiratet und er ist leider gestorben. Ich hab sie noch besucht auf meiner Weltreise wie ich war, sie war dann ein zweites Mal schon Witwe und hat wieder einen anderen Mann geheiratet, aber sie hat ihren Mann wirklich auserwählt bei dem 5-Uhr-Tee. Das heißt, er hat sie auserwählt, weil er gesagt hat die Trebitsch, das sind seine Verwandten und das waren Nachbarn von ihren Eltern, Zufall. Das Leben ist alles eine Bestimmung. Hat sie den Neffen geheirat’ vom Nachbarn.

Wo hast Du Deinen ersten Mann kennengelernt?
Na das ist überhaupt lustig. Wir haben in Meidling gewohnt, die Mama und ich. Ich hab dir ja schon erzählt, ich hab mit meiner Mama zusammengewohnt als ich das Elisabethheim verlassen mußte. Und da haben wir in Meidling gewohnt und ich steh bei der Straßenbahn und ein Mann kommt zu mir, sehr fescher Bursch, und er kommt zu mir und sagt: „Fräulein kann ich mit ihnen reden?“.
Und ich sag’: „Na was wolln’S denn von mir?“. Ich hab ihm gefallen, hat er mich angesprochen, aber wir waren nicht sehr so befreundet, wir waren mehr so eine Liebhaberei. Er hat mich begleitet. Ich bin gefahren nach dem 20. Bezirk. Und er hat mich begleitet. Weil da waren Freunde von mir jung verheiratet, ich hab sie aufgesucht als guter Freund, weil sie jung verheiratet waren. Ich hab ihn hie und da getroffen, vielleicht in einem Jahr 3, 4, Mal. Er war angestellt bei seinem Onkel, der hat eine sehr große Taschenfabrik gehabt und ich hab alle meine Taschen bei ihm gekauft. Und für meine Tante hab ich die Taschen dort gekauft. Die haben ein spezielles Geschäft gehabt am Ring bei der Oper, die verlängerte Kärntnerstraße. Da war ein Taschengeschäft und da waren alle Taschen ausgestellt von der Fabrik wo der Hans, also mein Mann, angestellt war – das war bei seinem Onkel. Und wenn meine Tante wollt eine Tasche ist sie zu der Auslage gegangen und hat gesagt „die Tasche“, meine Mama hat gesagt „die Tasche“ und ich hab gesagt „die Tasche“ und so hab ich meine Taschen gekauft, bin in die Fabrik gegangen und hab dort die Taschen gekauft und gezahlt. Und ich werd’ nie vergessen, hat der Onkel g’sagt zu seinem Neffen „Muß sie’s zahlen oder mußt ihr’s schenken?“. – Du verstehst? – Also hat der Hans gesagt „Sie muß es zahlen“. Und so war auch unser Verhältnis zusammen. Er hat mich hie und da ausgeführt und ich war das Fräulein und alle meine Buben mit denen ich zusammengekommen bin war ich nicht das Fräulein, sondern wir war’n per du. Und wir waren in der Jugendbewegung und ich kann mich erinnern, ich bin einmal mit den jungen Burschen gegangen und wir haben den Hans getroffen auf der Straße und er hat gesagt „Küß die Hand Fräulein“. Da haben die Buben g’sagt „Na wer ist denn des, wer grüßt dich denn so“ und so war es. Und so war ich immer in Kontakt mit ihm und bin eigentlich nie mit ihm gegangen, so wie man sagt, man geht mit jemanden. Aber wie dann die Besetzung war hat er bei uns geschlafen, weil die Burschen wurden besonders verfolgt vom Hitler. Und ich war mit der Mama zusammen – wir haben dann schon eine gute Wohnung gehabt – und unsere Wohnung war belegt mit 5 Männer. Also versteckt, weil die Gefahr war so groß. Und so ist er dann ausgewandert in die Schweiz. In der Schweiz hat er keinen Aufenthalt bekommen, hat man ihn transferiert mit gefesselte Füße nach Frankreich. Dort war ein Cousin von mir, was du in meinem Stammbaum siehst, von die Frankl und da ist er zu meinem Cousin gegangen und dadurch bin ich auch nach Frankreich ausgewandert. Jetzt weißt du, wieso ich bin nach Frankreich gekommen, zu meinem Cousin und mein erster Mann der Hans war bereits bei meinem Cousin.

Stimmt das, Du warst von Deiner Geburt bis zum Alter von 5 Jahren in Mistelbach, dann bis 13 nach Wien.
Ja, und von 13 bis 14 hab ich die Bürgerschulklasse fertig gemacht in Mistelbach und bin dann wieder nach Wien in das Waisenhaus. Meine Mama, was sie geerbt hat, hat sie total verloren, sie war sehr arm. Aber ich hab meine Erbschaft immer noch gehabt. Ich war wohl Minderjährig, aber ich hab sie gehabt. Und eingestellt waren die Möbel bei den Laaer Goldreich. Aber in Wolkersdorf und nicht in Laa. Der war damals schon in Wolkersdorf. Wie ich großjährig war hab ich das zurückbekommen und ich hab mit meiner Mama normal gelebt. Wohl sparsam, weil ich war der Verdiener, aber wir haben ordentliches Bett gehabt und ordentliches Bettzeug und Kästen und schöne Möbel, Teppiche und Silberzeug und Bilder, also alles was mir gehört hat hab ich dann mit der Mama geteilt und wir haben zusammen gelebt bis ich bin ausgewandert.

Du bist ja zuerst nach Frankreich und hast bereits Französisch gesprochen, aber wo hast Du Englisch gelernt?
Wie ich gehört hab, ich hab ein Permit bekommen nach Australien hab ich von Französisch Englisch gelernt. Das war sehr schwierig, denn ich hab kein Sprachentalent. Mein ganzes Leben, die ganze Jugend hab ich Französisch gelernt, denn meine Gouvernessen mußten mir Französisch sprechen lernen. Und wir sind nach Frankreich gekommen, hat der Hans immer gesagt, was heißt denn das in der Zeitung. Das konnte ich übersetzen, doch die Konversation war für mich schwierig, aber dadurch, daß ich so einen guten Beruf gehabt hab und so einen guten Namen hab ich mir gleich mein Brot verdient und hab müssen nicht reden – hab müssen nur nähen. Und so hab ich mir das Brot verdient in Frankreich. 3 Tage war ich in Frankreich, hab ich schon einen Posten gehabt in einem großen Modellhaus, wo ich schwarz, nicht official, nicht vom Gesetz aus, gearbeitet hab, aber ich hab mir schon das Brot verdient.

Du hast Englisch gelernt ohne Lehrer?
Ich hab eine Französin gehabt, die Englisch konnte. Hat sie versucht mit mir zu reden Französisch-Englisch. Natürlich bin ich in Sydney angekommen als ein Analphabet, konnte sehr wenig, sehr wenig. Und wie gesagt, meine Cousine, die in Laa geboren war, hat das Permit mir geschickt und hat mir gleich einen Posten verschafft. 8 Tage war ich in Sydney, war ich schon eine Forewoman in einer Fabrik mit 30 Mädeln. Die haben Konfektion gemacht, also etwas das ich eigentlich nicht gelernt hab. Aber der Besitzer war ein Wiener und so war ich nicht verloren. Und so hab ich mich dann umgestellt auf die englische Sprache. Mein Englisch ist ja nicht so gut wie deines, ich glaub nicht, aber ich meine bloß, so ist es und so hab ich dann gelernt und ich kann mich erinnern, wie ich mich hab selbständig gemacht und Kundschaft ist gekommen und ich hab sie nicht verstanden hab ich gesagt „Thousand meter“. Das heißt auf Deutsch „Tausend Meter“, das hab ich mir gemerkt, das hab ich der Kundin gesagt wenn ich sie nicht verstanden hab. Das war mein Englisch. Ich hab ein Lehrmädel mir aufgenommen, die konnte Deutsch, eine russische Emigrantentochter und die hat mir übersetzt was die Kundschaft g’sagt hat. So hab ich angefangen in Sydney.

Lilly hat auch in Los Angeles sehr viel gehandarbeitet – Joseph war auf ihr handwerkliches Geschick sehr stolz – dieses selbst gestickte Bild hat sie meiner Familie geschenkt – die Widmung: „Love Lilly + Joseph 1993“

In welchem Jahr hast Du Dich selbständig gemacht?
Ich bin nach Australien gekommen 1948 und in einem ¾ Jahr hab ich mich schon selbständig gemacht in einem Geschäftslokal, das ich dir bereits schon gezeigt hab und probiert hab ich in der Auslage und hab Vorhänge gegeben. Hinter den Vorhängen war dann das Lehrmädel und noch eine Arbeiterin und mit denen hab ich mich selbständig gemacht. Und in 1 ¼ Jahren hab ich mir schon ein Haus gekauft. Hab schon so viel verdient, daß ich die Anzahlung hab gehabt für ein Haus und einen Hund hab ich gehabt. Den selben Hund, den du hast.

Den Luxi.
Ganz richtig. Also ich hab einen kolossalen Success gehabt, aber du hast ja meine Bilder gesehen.

Was war Dein Mann Hans von Beruf?
Ein Handelsangestellter. Und das ist das Schlechte, es ist schlecht, wenn du in ein fremdes Land kommst und hast keinen Beruf. Auch wenn du studiert hast und wirst nicht anerkannt. Mit mir am Schiff ist ein Arzt gefahren, der war von der Schweiz, der war die ganzen Kriegsjahre in der Schweiz und ist dann mit dem Schiff mit dem ich nach Sydney gefahren bin, nach Australien gefahren. Er mußte 2 Jahre wieder studieren, bis er wieder das Doktorat bekommen hat. Und in 2 Jahren war ich schon die Madame Lilly, nicht. Also ich meine bloß, ich sag, wenn man einen Beruf hat ist es immer besser in einem fremden Land weil da kannst du etwas machen, hast eine eigene Kraft in dir. Man akzeptiert dich. Aber wenn du warst gut angestellt in Wien, so wie mein Mann, ein Manipulant in einer ganz großen Taschenfabrik, na wen interessiert das in Frankreich oder in Australien, bist ein Zero, ein Hilfsarbeiter – und das war er, mein Mann. Ein Hilfsarbeiter, in einer Fabrik schwer gearbeitet, sehr schwer gearbeitet am Anfang. Und dann in den letzten Jahren hat er sich selbständig gemacht, ein Herrenmodengeschäft in einem kleinen Suburb – nicht gegangen. Nicht gegangen und ich war immer am Top, immer. Du hast ja gesehen meine Bilder. Ich hab’s schon vergessen gehabt, ihr habt’s mich wieder erinnert. Ja sicherlich, denn das ist ja schon so viele Jahr her. Deswegen sag ich, Studium ist ja ganz gut so lang du bleibst im eigenen Land. Gott behüte, du mußt hinaus, wer wird dich anerkennen. Diese Erfahrung hab ich gemacht. Aber natürlich, die Zeiten haben sich sehr geändert. Das war zu meiner Zeit. Heute vielleicht ist es auch anders, daß die Jugend überall Anschluß findet, wenn sie in ein fremdes Land kommt, wenn man keinen Hinterhalt hat.

War Dein erster Mann aus Wien?
Ja, wie ich ihn hab kennengelernt war er ein Wiener. Aber er war im Prinzip ein Staatenloser, weil seine Vorahnen sind gekommen von Ungarn und er hat sich auch „sz“ geschrieben, also Reisz und nicht Reiss. Und ich hab seine Mutter nie gekannt, die ist sehr jung gestorben und sein Vater hat ein zweites Mal geheiratet und den hab ich kennengelernt mit seiner zweiten Frau und die haben einen Buben gehabt, also einen Stiefbruder. Aber da war ein Jahresunterschied von 15 oder 18 Jahren und ich hab nicht viel Connection gehabt mit dem jungen Buben. Wie ich bin ausgewandert war der Bub 15 Jahre alt und der Hans war schon 29 und interessanter Weise, was sehr interessant ist. In meiner Jugendbewegung war ein junger Bursch mit dem war ich ganz verliebt. Er hat mir mehr Bäckerei gegeben wie irgendeiner anderen, hab ich schon geglaubt, ich bin im Himmel. Der Bursch hat in Wien sehr tollen Success gehabt, der war ein Schuster, hat ein Schuhgeschäft gehabt und ist ausgereist nach Israel. Und dann ist er ausgereist nach Argentinien und dort ist er sehr reich und vermögend geworden. Im Alter von 25 – ich war schon nicht mehr in Kontakt mit ihm – aber er hat in Wien gehabt ein Schuhgeschäft und bin ich immer hingegangen mir die Schuhe kaufen. Also ich hab den Kontakt mit dem Burschen nicht ganz verloren. Das waren ja Jugendbekanntschaften wie ich 17 Jahre alt war oder 16, oder 18. Und wie der Hitler gekommen ist, ist er wieder nach Wien und hat für mich versorgen wollen, daß ich nach Israel fahr, weil er hat immer eine Verbindung gehabt mit Israel, der Schuhfabrikant – damals war er schon Schuhfabrikant. Also was soll ich dir sagen, hat die Mama gesagt „nein, so weit fahrst du nicht“. Dann ist der Hans gefahren, erst in die Schweiz und dann nach Frankreich und dann bin ich nach Frankreich, aber was war. Der Bruder von meinem Mann, der 15-jährige Bub, – Birnbaum hat der Jugendfreund von mir geheißen – der hat ihm eine Fahrt verschafft um nach Israel zu fahren. Also durch mich eigentlich ist der Bruder meines Mannes, der Stiefbruder, nach Israel gekommen und zwar mit dem Schiff, das die Engländer nicht haben landen lassen. So mußten die Passagiere, also der Bub, schwimmend in Israel ankommen. Also jetzt weißt du wie das war. So war es, die Engländer haben die Schiffe nicht landen lassen. Und mit dem Schiff hätt’ ich sollen fahren und anstatt daß ich gefahren bin, ist der Bub gefahren. Und wir haben dann korrespondiert mit dem Buben. Und man hat ihm im Kibbuz aufgenommen und er hat nicht ein Hemd anzuziehen gehabt. Und meine Mama hat nachgeschickt uns Gepäck, aber nicht direkt. Nicht von Österreich nach Frankreich, weil doch schon eine Kriegsspannung war, sondern wie du von meinem Stammbaum siehst hab ich eine Cousine gehabt in Italien, also hat die Mama geschickt nach Italien und meine Cousine hat geschickt nach Frankreich und wir haben geschickt von Frankreich nach Israel zu seinem Stiefbruder. Wir haben aber komplett den Kontakt mit dem Buben verloren. Wir haben ihm geschickt Wäsche, Hemden und so, also was die Mama uns geschickt hat. Wir haben ja nichts gehabt in Frankreich. Leider, er hat auch einen Hebräischen Namen angenommen, so war es für uns unmöglich ihn zu finden. Ich weiß nicht einmal mehr seinen Vornamen, hab schon vergessen. Aber interessant ist, daß der Bub anstatt mir nach Israel gefahren ist und noch schwimmend wär’ ich angekommen. Es tut mir leid, daß ich war nie in Israel, das hab ich dir ja gesagt.

Wieder ein Sprung zurück nach Mistelbach. Ich habe gehört, daß es in Laa 2 christlich-jüdische Hochzeiten gegeben hat, ist dir sowas auch von Mistelbach bekannt?
Nein. Weiß ich nicht. In meiner Familie, also in meiner Generation, hat es eine jüdische- christliche Hochzeit gegeben, aber ich glaub, die haben in Wien geheiratet. Das ist meine älteste Cousine gewesen, die war so alt wie meine Mutter. Also der Jahresunterschied enorm groß und mit ihre Kinder bin ich mit einer noch in Verbindung. Wir schreiben uns, sie lebt noch in Frankreich. Aber das war schon ein Mischling, nicht, weil die Cousine war jüdisch und der Mann war Christ und die haben 4 Kinder gehabt. Nein ich kann mich nicht erinnern, daß so eine Mischehe in meiner Community in Mistelbach war. Meine Jugendfreunde haben alle jüdisch geheiratet. Ich meine ich hab sie ja in viele späteren Jahren manche wiedergesehen. Oder ich hab gehört der ist dort und der ist dort und der ist da. Aber ich kann mich erinnern, daß da Mischehen waren. Wart einmal – der Edelhofer, ein Freund vom Joseph, dessen Sohn hat geheiratet ein christliches Mädel. Das war schon In Amerika. Aber der Vater von dem Buben war verheiratet mit meiner Cousine, wo ich dir geschrieben hab auch Mistelbach eine Eisinger. So war ich eigentlich immer in Verbindung, weil er war verheiratet mit einer Cousine von mir und der Sohn – der eigentlich ein Mischling war – war hier uns besuchen, wie ich hier war. Also von beiden Seiten – von meinem Mann und von mir – gab es immer eine Relationship. Der Vater von ihm war ein Freund vom Joseph und war verheiratet mit meiner Cousine aus Mistelbach und er war von Gaunersdorf, wo der Joseph her ist.

Wie hast du den Joseph kennengelernt?
Na mit dem Joseph bin ich ja verwandt. Wieso ich mit dem Joseph wieder zusammengekommen bin: Wie ich auf meiner Weltreise war, vor 32 Jahren, habe ich meine Tante aufgesucht hier in Amerika, und diese Tante war eine Schwester von Josephs erster Frau. Und da bin ich hergekommen, der Onkel war schon tot, der Laaer Goldreich, und die Tante hat Goldreich geheißen logischer Weise. Die Schwester von der Tante Goldreich, Irma Goldreich, war die Frau vom Joseph. Und da hab ich gegessen in dem Room wo du mit mir sitzt, dem Haus wo du wohnst – das hat damals noch nicht gehört den Kolb, aber ich war hier auf Besuch und die Frau vom Joseph hat uns kolossale Ehre gemacht, denn ich war mit der Tante sehr close – sehr. Sie war auch in Australien, weil die Tochter von ihrem Mann hat ihnen auch ein Permit geschickt, so wie mir als Cousine. Und da war ich mit der Tante und dem Onkel in Verbindung – immer, immer, immer, immer. Wir haben sie sehr unterstützt mein Mann und ich – immer, immer und immer. Und so bin ich immer mit dem Kolb in Verbindung gekommen und dann hat der Joseph gehabt einen guten Freund von Gaunersdorf in Sydney, mit dem war mein Onkel sehr, sehr gut. Dadurch bin ich mit dem in Verbindung gekommen und der Onkel hat mir gesagt, daß die Frau vom Joseph gestorben ist. Weil das waren doch Landverbündete, nicht. Na und ich, blöde Kuh wie ich war, hab der Tante Irma kondoliert, daß die Schwester gestorben ist und man hat’s der Schwester nicht gesagt. Die Tante Goldreich hat nicht gewußt, daß die Schwester, die Frau vom Joseph, gestorben ist. Stell dir vor und ich hab ihr kondoliert, ja das war schrecklich. Also kurz und gut, ich hab das angestellt. Mein Mann war schon 14 Jahre tot. Und so bin ich mit dem Joseph in Verbindung gekommen. Wir haben uns gegenseitig geschrieben, nicht, und er hat mich aufgeklärt was ich hab angestellt. Da hab ich mich entschuldigt brieflich und ich war schon Witwe 13 oder 14 Jahr und da hab ich wollen einmal nach Amerika fahr’n, meine Cousine besuchen in New York. Und da hat er mir g’schrieben ich soll fahren über hierher, soll sein Gast sein und dann soll ich nach New York fahren. Na dann bin ich hergekommen, war sein Gast und bin nach New York gefahr’n zu meiner Cousine. Von meiner Cousine bin ich wieder hierher gefahr’n. Na dann war’s schon aus, dann hat er mich schon gehabt wie man so sagt. Ja und da waren wir in Verbindung und dann bin ich hier eingezogen nach Amerika. Also er ist mich besuchen gekommen und hat aller verpackt und hat mich transportiert nach Amerika. So bin ich gekommen nach Amerika und nach einem Trauerjahr von seiner Frau hat er mich geheiratet. Das ist das jüdische Gesetzt, man muß ein Jahr Trauer halten. Ich hab gar nicht gerechnet, erst jetzt komm’ ich d’rauf, daß er ein Jahr geheiratet hat und dann haben wir gesetzlich geheiratet hier in Culver City im Gerichtsgebäude.

(Joseph vor dem gemeinsamen Haus in Culver City)

Wann habt ihr geheiratet?
Vor 18 Jahren, 1976.

Weißt Du den Tag?
Nein, nein. Ich kann mich nur erinner’, daß man hat aufgerufen, wer sind die nächsten zum Heiraten und wir zwei sind aufgestanden so alte Leut’ und die jungen Leut’ waren alle ganz weg. Naja, wer heirat’ schon in so hohem Alter. Ich war schon in die 60 und der Joseph war schon in die 70. Da waren lauter junge Leute beim Gericht wie wir haben geheiratet und wie wir sind hinausgekommen haben’s applaudiert. Ich werd’s nie vergessen, wir sind herausgekommen und sie haben applaudiert. Ich hab eine Brautzeugin gehabt. Die Einzige in Amerika, die mich gekannt hat von Australien, die war meine Brautzeugin. Und haben wir geheiratet. Und Fredy war natürlich nicht dabei. Im Gegenteil, der Fredy hat dem Papa geschafft, er soll was machen und wir sind da in die Wohnung gekommen mit meiner Zeugin von der Hochzeit und der Joseph ist g’schwind gegangen uns fertiges faschiertes Hendl zu kaufen, daß wir was zu essen haben. Das war meine Hochzeit. Und die Hochzeit in Frankreich war auch so schlecht natürlich. Die erst Hochzeit mit meinem ersten Mann war auch sehr arm. Also ich hab nie eine Hochzeit gefeiert – nie, nie. Nie und nimmer. Na und ich leb auch. Was hilft das ganze Hochzeitsfeiern, wenn es dann nicht gut ausgeht.
Die Vergangenheit, nicht momentan das Leben sondern die Vergangenheit hat uns zusammengebracht. Wir haben doch so viel gemeinsam. Er war doch in New York und immer mit meiner Familie verbunden und jetzt ist er mit mir verbunden, nicht. Er kennt alle, den Stammbaum den ich dir gegeben hab’, alle meine Cousinen und Cousins kennt er, alle. Und ich kenn’ eigentlich von die Berger, von seiner ersten Frau, weil das war doch die Tante und die Schwester. Und der Bruder war in Mistelbach verheiratet, der Schwager vom Joseph. Die haben Frischmann geheißen. Und die Frau vom Joseph war eine geborene Berger, also die kenn’ ich auch. Und den Buben, der ist so alt wie ich, von der ersten Ehe, der lebt in Argentinien, ist so alt wie ich und wir sind in Verbindung miteinander, denn der Joseph ist ja sein Onkel.
Wie ich nach Sydney komm sitz ich im Kino und eine Frau klopft mich auf die Schulter „bist du die Lilly“ und ich sag „Gott, du bist ja die Anni“. Stell dir vor, wir haben zusammen Schneiderei gelernt in der Nähschule. Ich war intern in dem Heim und sie war extern. Sie hat draußen gewohnt bei ihrer Tante, sie war auch ein Waisenkind, aber ihre Tante war die Direktorin von einem Pensionat für Mädchen und die Lehrerin, was wir gehabt haben in der Schneiderei war eine Freundin von ihrer Tante. Dadurch ist sie zu uns gekommen ins Elisabethheim um zu lernen. Na was sagst du, klopft sie mich auf die Schulter in Sydney. Na haben wir uns wieder sehr befreundet. Sie hat 2 Kinder bekommen, hat die studieren lassen, war sehr g’scheit, aber sehr arm. Sie hat die Schneiderei aufgelassen und hat Heimarbeit gemacht so kleine Börserln mit oben einem Zipp drinnen. Mit dem hat sie sich das Brot verdient und ich war in einem ¾ Jahr selbständig. War sie eifersüchtig auf mich, aber wir waren trotzdem gut. Sie hat nicht verstehen können, daß ich so einen Success hab. Was soll ich dir sagen, eines Tages kriegt ein Freund von uns einen Besuch mit dem war er in einem Lager da irgendwo in Afrika und der war von Nikolsburg. Na hab ich ihn gefragt ob er kennt die Alli Labitz, die Schulfreundin vom Elisabethheim. Sagt er „ja, die hat ja meinen Cousin geheiratet“. Aber sie lebt nicht mehr. Na möchtest das glauben, eine Jugenderinnerung, ich war 16 / 17 Jahr. Sie war mit mir in Elisabethheim und in der jüdischen Jugendbewegung, weil sie war von Nikolsburg. Und meine Vorahnen, ich weiß nicht mehr Nikolsburg oder Lundenburg kommen die und sie hat die Eisinger bei Namen nach gekannt. Na was sagst du. Klopft sie mich nicht auf die Schulter. Und sie kennt auch diese Alli Labitz, da hab ich ihr erzählt, daß die Alli Labitz gestorben ist und das hat sie gar nicht mehr interessiert. Möcht man das glauben wie jeder Mensch anders ist. Ich war ganz traurig, daß die Alli gestorben ist. Sie war 1 Jahr älter wie ich oder vielleicht 2 Jahre älter und hat von Nikolsburg immer bekommen die Gansleber eingelegt. Wir haben doch nichts zu Essen gehabt im Elisabethheim, nur sehr wenig, hat sie mit mir immer geteilt. Wir waren wirklich sehr, sehr gut und wie ich das in Sydney erfahren hab war ich natürlich sehr betrübt. hab ich das der Anni erzählt – wir waren so ein Dreieck – naja sie hat andere Sorgen, sie hat schon 2 Kinder gehabt und hat müssen Heimarbeit machen und hat nicht den Success gehabt, den ich gehabt hab. Aber ich will dir nur sagen wie das Leben klein ist, sehr klein.
Noch eine sehr interessante Geschichte wie das Leben klein ist. Mein Mann war in der Fremdenlegion und dort hat er sich befreundet mit einem jungen Burschen aus Wien. Mein Mann ist gefahren mich heiraten gesetzlich, in der Uniform natürlich, so haben wir geheiratet, und er hat dem Mann mit dem er sich befreundet hat das Bild gezeigt von der die er heiraten geht. Sagt er doch wie er das Bild sieht von mir, sagt „das ist ja meine Cousine“. Na möchtest du das glauben! Der Bursch – das wird dich interessieren – war ein Goldreich, ein geborener Laaer. Na was sagst du. Jetzt wo du da sitzt ist es für dich vielleicht auch interessant die Geschichte zu hören. Kurz und gut, mein Mann ist mich heiraten gekommen, hat 3 Tage Urlaub bekommen und ist zurück wieder in die Army. Wie er zurück ist in die Army ist mein Cousin nicht akzeptiert worden in der Fremdenlegion weil er war krank. Man hat nur gesunde Leute genommen zur Army. Ist er zurück nach Frankreich, ist in ein Lager gekommen, jedenfalls ich komm in ein Lager hinein, erzählt mir ein Wiener „da ist g’rad’ einer deportiert worden, der war so schiach, hat eine gebogene Nase gehabt und hat Haar g’habt wie ein Schwein“ und erzählt mir die Geschichte, daß er von der Legion war. Und ich sag „hat er vielleicht Goldreich geheißen“ sagt er „ja“. Seine Familie – er war verheiratet und hatte einen Buben – der war in Belgien zusammen mit dem Fredy. Die sind auch deportiert worden aus Belgien und mein Cousin Richard ist von Frankreich deportiert worden. Aber sind das nicht Zufälle? Man hat ihn nicht akzeptiert in der Fremdenlegion, weil er war krank und meinen Mann hat man akzeptiert und dadurch bin ich am Leben geblieben, nicht. Na stell dir vor, sind das nicht Zufälle im Leben? So wie du da sitzt, ist das nicht ein Zufall, daß du da sitzt und mit mir sprichst mit einer alten Frau anstatt mit einer jungen – ich meine bloß. Ist das nicht ein Zufall? Muß das doch irgendwie handgreiflich akzeptiert worden sein, daß wir zwei zusammensitzen. Und daß g’rad’ der Fromm, von Melbourne anruft, wenn du da bist. Na die in Melbourne und in Adelaide wissen ja, daß ihr da seid. Na ist das nicht ein Zufall, ist das nicht einmalig? Und ich versteh mich so gut mit deiner Mutter und mit dir, ist das nicht einmalig?

(Die Straße in Culver City, in der Familie Kolb lebte)