Dr. Felix Jokel (Yokel)

Lebensgeschichte von Felix Yochanan Yokel (früher Felix Jokel)

7. Juni 1994

Zusammenfassung

Ich verließ Österreich im Juni 1938 und ging nach Brno (Brünn), in der Tschechischen Republik, wo ich in die siebente Klasse des Jüdischen Gymnasiums eintrat. Im April 1939 verließ ich Tschechien in Richtung Israel mit einer Jugendaliah-Gruppe. Ich blieb für drei Jahre im Kibbuz Afikim und trat dann dem Kibbuz Kfar Blum bei. Ich diente im Palmach und anschließend (von 1943 bis 1950) im IDF. Danach kehrte ich nach Kfar Blum zurück. Ich heiratete meine Frau, Shoshanna, in Kfar Blum im Jahr 1946 und unsere zwei ältesten Kinder wurden dort geboren. Im Jahr 1956 emigrierten wir in die USA. Ich studierte Ingenieurwesen und bekam 1963 meinen Doktortitel verliehen. Ich wurde Partner eines beratenden Ingenieurbüros. Unser jüngster Sohn wurde 1961 in den USA geboren. Im Jahr 1968 wurde mir eine Professorenstelle an der State University of New York (SUNY) in Binghamton angeboten. Anschließend arbeitete ich für das National Bureau of Standards in Washington (das heute National Institute of Standards and Technology heißt), wo ich Forschungsprogramme in Geotechnik, strukturellem Ingenieurwesen und Vulkanologie durchführte. Meine Frau studierte Deutsche Literatur und Sprachwissenschaften und unterrichtete an der Universität von Maryland und anschließend in Gymnasien in Montgomery County, Maryland. Wir beide gingen im Juli 1993 in Pension. Unser ältester Sohn, Uri, ist Architekt und lebt mit seiner Frau und drei Kindern in der Gegend von Washington DC. Unsere Tochter, Yael, ist Ärztin und lebt mit ihrem Sohn und zwei Kindern in Florida. Unser jüngster Sohn, Benjamin, ist auch Arzt und lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Minnesota. [Aus den je 2 Kindern sind nach Verfassen der Lebensgeschichte 3 geworden.]

Einleitung

Zur Zeit des Anschlusses ging ich in die sechste Klasse des Bundesrealgymnasiums in Laa/Thaya. Vor vier Jahren bin ich nach Laa zurückgekehrt und blieb vor der Schule stehen, die sich, zu meiner Verwunderung, in all den Jahren nicht verändert hat. Ich fühlte mich beinahe wie auf einer Zeitreise. Weil die Schule geschlossen war, klemmte ich meine Visitenkarte an die Tür, in der Hoffnung, dass mich vielleicht jemand kontaktieren würde. Wie auch immer, nichts passierte. Wir lebten dort und eines Tages verschwanden wir und offensichtlich hat sich nichts verändert und es kümmert niemanden.

Als der 2. Weltkrieg endete, lebte ich in Israel, war ein Mitglied des Kibbuz Kfar Blum und diente im Palmach (damals eine Untergrundarmee). Nachdem ich erfahren hatte, dass meine Eltern ermordet worden waren, wollte ich nichts mehr, als Österreich zu vergessen, so, als ob ich niemals dort gelebt hätte. Ich kümmerte mich nicht einmal darum, unser Eigentum zurückzufordern, da ich meinte, ich hätte wichtigere Verpflichtungen. Letztendlich besuchte ich Österreich im Jahr 1989, mehr als 50 Jahre, nachdem ich es verlassen musste. Dann, Ende 1993, bekam ich einen Brief von Magdalena Müllner, einer nichtjüdischen Schülerin vom Gymnasium Laa. Ich war durch ihr ehrliches Bemühen berührt, unsere Geschichte zu dokumentieren und entschied mich, meinen Beitrag zu ihren Anstrengungen zu leisten. Jetzt, wo ich älter werde, macht mir die Tatsache immer mehr aus, dass die meisten Leute, das schließt meine eigenen Kinder ein, nicht wissen, was mit den Familien passiert ist, und so viele wollen es auch gar nicht wissen.

Ich werde nun versuchen, meine Geschichte zu dokumentieren und beginne mit dem Anschluss. Ich habe keine Aufzeichnungen irgendwelcher Art geführt und muss mich auf mein Gedächtnis verlassen, und so mag es einige Lücken und Ungenauigkeiten geben. Es passierte alles vor langer Zeit.

Österreich

Zur Zeit des Anschlusses lebte ich mit meinen Eltern, Ing. Karl Jokel und Emma Jokel (geborene Hauser) am Fabrikgelände von Josef Hauser auf der Neudorferstraße beim Kellerberg [heute „Kellerhügel“] in Laa a/d Thaya. Meine Eltern waren Teilinhaber der Firma in Laa, mehrerer Weinkeller am Kellerberg und einer anderen, ähnlichen Fabrik in Miroslav (Misslitz), Mähren. Mein Vater gründete und betrieb die Fabrik in Laa, mein Onkel, Dr. Max Hauser, betrieb die Firma in Miroslav. Vor dem Tod meines Großvaters, Josef Hauser, im Jahre 1935, verbrachten wir die meisten Wochenenden in Miroslav, wo meine Mutter auch Josef Hausers Haushalt führte. Aus diesem Grund waren viele meiner Sozialkontakte, sowie die meiner Eltern, in Miroslav, wo es eine viel größere jüdische Gemeinde gab als in Laa.

Felix mit seinem Sohn, Enkel, seiner Frau und Schwiegertochter vor seinem Elternhaus

Meine Mutter war die Tochter von Josef Hauser, der im späten 19. Jahrhundert eine Fabrik für Spirituosen (Sliwowitz, Branntwein), Liköre, aromatische Essenzen und Öle in Miroslav (Misslitz) in Mähren gründete. Sie war eine Diplomkrankenschwester und arbeitete unter anderem als Schwester im Ersten Weltkrieg. Mein Vater kam aus bescheidenen Verhältnissen (die Familie hatte eine Bäckerei in Miroslav) und finanzierte sich sein Studium an der Technischen Universität in Wien, indem er Kollegen in Mathematik Nachhilfe gab. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs meldete er sich als Freiwilliger für ein Jahr und wurde schließlich Offizier. Er wurde zur russischen Front geschickt und bei der Brussilov-Offensive verletzt. Während der Revolution floh er und kehrte nach Hause zurück. Er wurde an die italienische Front geschickt, wo er erneut verwundet wurde. Nach dem Krieg heiratete er meine Mutter, anschließend gründete er in Laa eine Tochterfirma des Unternehmens Josef Hausers, wo er bis zum Herbst 1938 wohnte. (Nach der Teilung der Österreichisch-Ungarischen Monarchie waren viele der Kunden von Josef Hauser in Österreich und mussten durch eine separate Firma in Österreich versorgt werden.) Meine Eltern waren sehr mit ihrer Familie und auch der erweiterten Verwandtschaft verbunden und widmeten sich mit aller Energie ihrem Unternehmen, welches ihre und ihrer Familie Arbeit und Errungenschaft darstellte. Unsere Familie lebte seit vielen Generationen in Zentraleuropa, vielleicht länger als die Familien von so vielen Österreichern, die uns wie Fremde behandelten.

Da es anscheinend keine jüdischen Jugendlichen meiner Altersgruppe in Laa gab (in diesem Alter zählt auch schon ein Jahr), waren meine Sozialkontakte in Laa meine nichtjüdischen Klassenkameraden. Ich würde die Situation in meiner Klasse wie folgt beschreiben: Ich hatte ein paar sehr gute Freunde (drei Jungen, ein Mädchen) und hatte auch gute Kontakte zu ein paar anderen Jugendlichen meines Alters; die Mehrzahl meiner Klassenkameraden waren mir mehr oder wenig fremd, aber nicht unbedingt feindselig; ein paar Jugendliche meines Alters und ein paar ältere Schüler waren offen antisemitisch. Ich empfand sie als meine Feinde und manchmal brach die Feindschaft im offenen Konflikt aus (ich hatte wenig Toleranz für Beleidigungen). So weit es die Professoren betrifft, so wusste ich, dass ein paar von ihnen Nazis oder Großdeutsche waren (sie machten im Unterricht kein Hehl daraus). Wie auch immer, ich erlebte keine Vorfälle von offener oder gefühlter Diskriminierung.

Vor dem Tag des Anschlusses verfolgten wir die Ereignisse durch Radio und Zeitung. Mein Vater glaubte noch, dass Kanzler Schuschnigg irgendwie dem Druck standhalten würde (mit Mussolinis Hilfe). Ich hatte keine solchen Illusionen und als Sozialist hasste ich Mussolini. Ich erinnere mich noch an Schuschniggs Rede nach seinem Aufgeben (Gott schütze Österreich, etc. – kein Anhaltspunkt irgendwelcher Art für Besorgnis um seine jüdischen Mitbürger, die den höchsten Preis zahlen würden). Am nächsten Morgen wurden wir von einer enormen Zahl von Nazi-Fahnen begrüßt, die aus den Fenstern der Häuser gegenüber hangen.

Mein erster Tag in der Schule nach dem Anschluss war eher nicht ereignisreich. Einige der Professoren schien enthusiastisch über den Anschluss zu sein und in einem Fach (Naturgeschichte) wurden wir aufgefordert, eine neue Seite mit einem Titel in Zierschrift zu beginnen: „Nach dem Anschluss Österreichs an das Dritte Reich“. Wir wurden informiert, dass Professor Zippe den bisherigen Direktor des Gymnasiums ersetzen würde. Das war eine Überraschung für mich, da ich eine außergewöhnlich gute Beziehung zu Zippe hatte – ich war der Star-Schüler in seiner Nachmittagsstunde für Geometrisches Zeichnen. Unter den Schülern gab es Aufregung und eine gewisse Entspannung betreffend ihre Aufgaben und Verpflichtungen, denn durch die bestehende Möglichkeit, dass sich alles ändern würde, war zu erwarten, dass nicht mehr zu viel Arbeit bis zum Schulschluss geschehen würde. Am nächsten Tag schienen meine zuvor erwähnten Feinde zu denken, dass sie nun die Lizenz hatten, mich in der Öffentlichkeit in die Zange zu nehmen. Ich entschied, dass ich mich verteidigen musste, wenn ich weiter an dieser Schule bleiben wollte. Die resultierende Rauferei musste von Dritten beendet werden. Anschließend wurden ich und meine Feinde einzeln zu Zippes Büro gerufen. Das Resultat war, dass Zippe vor der versammelten Klasse erschien und folgende Erklärung abgab: Es ist feige und deshalb „undeutsch“, sich gegen einen einzelnen Schüler zusammenzurotten, und dass die Wiederholung dieses Vorfalls zum Ausschluss der Gesetzesübertreter führen würde. Rückblickend, unter Einbeziehung dessen, was später passierte, ist seine Definition, was „deutsch“ und „undeutsch“ ist, eher amüsant.


Felix mit seiner Frau, seinem Sohn, Enkel und Schwiegertochter vor seiner Schule in Laa (v. rechts nach links)

Vollansicht des altehrwürdigen Gymnasiums in Laa (Aufnahme August 2016)

Ich verließ die Schule im Juni 1938 vor dem Ende des Schuljahrs. Die Entscheidung, wegzugehen, war meine eigene und so weit mir bekannt ist, machte die Schule keine Anstalten, mich auszuschließen. Wie auch immer, mein Abgangszeugnis enthält den Vermerk, dass meine Religion der Grund für mein Ausscheiden gewesen sei. Mein Zeugnis war aber fair und wies mich als Vorzugsschüler aus. Im Rückblick denke ich, dass Zippe den Grund für mein frühes Ausscheiden angab, um mir die Möglichkeit zu geben, dass ich an einer anderen Schule in die nächste Klasse versetzt werden konnte. Nachdem ich die Schule verlassen hatte, übersiedelte ich nach Miroslav, Tschechoslowakei, wo ich mich intensiv für die Aufnahmeprüfung ins Jüdische Gymnasium in Brno (Brünn) vorbereitete. Das war keine einfache Angelegenheit, denn die Unterrichtssprache dort war Tschechisch und der Stundenplan war bezüglich der Unterrichtsfächer (Literatur, Philosophie, Geschichte) umfassender.

Ich erinnere mich an verschiedene Vorkommnisse, die in Laa vor meiner Abreise geschehen sind:
(1) Kurz nach dem Anschluss wurden alle jüdischen Frauen gezwungen, die politischen Anti-Nazi-Slogans, die auf Straßen und Wände gemalt worden waren, abzuwaschen. Ich weiß, dass junge Nazis (der Stolz des neuen Österreichs) dabei zusahen und johlten. Gerade bevor meine Mutter zu diesen Erniedrigungen abgeholt wurde (sie wurde später von einem unserer Arbeiter „befreit“), lud mich einer meiner guten Freunde zu einer Radrunde ein und war ziemlich hartnäckig darin, mich zu überreden, mitzufahren. Ich frage mich jetzt, ob er versucht hat, mich wegzulocken. Denn es stellte sich heraus, dass dieser Freund ein SS Untersturmführer wurde (er starb in Jugoslawien während dem Krieg). Vielleicht hat er gewusst, was geschehen würde.
(2) Die Nazis bestellten einen unserer Arbeiter (nicht einer, dem viel Respekt entgegengebracht wurde) als Vorarbeiter. In der Nacht nach dieser Ankündigung überraschte ihn jemand in der Dunkelheit und überfiel hin (ich hoffe, er hat’s gut gemacht).
(3) Die Nazi-Verwaltung ernannte einen „Arisator“ für unsere Firma – ich glaube, sein Name war B. [Name bekannt]. Mein Vater wurde angewiesen, ihm das Geschäft zu übertragen. Nach diesem legalen Diebstahl verstand mein Vater, dass es keine Hoffnung mehr gab. Er sagt, dass „der Boden unter seinen Füßen brennt“ und versuchte, ein „Kapitalistenzertifikat“ nach Palästina zu kaufen. Wie auch immer, er hatte offensichtlich nicht die Verbindungen, die zu dieser Zeit leider notwendig gewesen wären, und zusätzlich waren die Kosten des Zertifikates exorbitant, einfach unerhört überteuert. Die traurige Sache dabei ist, dass zu dieser Zeit Juden noch das Land verlassen konnten, doch keiner wollte sie aufnehmen. Ich erinnere mich auch, dass kurz nach dem Anschluss Herr Adler, ein jüdischer Nachbar von uns, dem ein Holzplatz gehörte, verhaftet wurde. Zu dieser Zeit wusste ich nicht, was mit ihm geschehen ist, aber ich war froh, durch Magdalena zu hören, dass die ganze Familie Adler erfolgreich nach Australien emigriert ist.

Tschechoslowakei

Leider war mein Lernen während dieses Sommers so intensiv (das war meine Art um zurückzukämpfen), dass ich mich den Entwicklungen nicht wirklich widmete. Deshalb sind mir wohl viele wichtige Ereignisse entgangen. Ich bestand die Eingangsprüfung in die siebente Klasse des Jüdischen Gymnasiums und mietete am Anfang des Schuljahrs eine Wohnung in Brno. Ich möchte die Qualität meiner Ausbildung in Laa nicht schmälern, aber ich war von der intellektuellen Reife und dem reichen kulturellen Hintergrund von manchen meiner Mitschüler beeindruckt.

Nach dem Anschluss stieg der Druck auf die Tschechoslowakei und es wurde viel über Widerstand gegen Hitler gesprochen. Wie auch immer, das Münchner Abkommen war eine große Enttäuschung. Eine Klausel des Münchner Abkommens wird dieser Tage häufig erwähnt: Es stellt fest, dass, wenn die Tschechen Widerstand leisten würden, Großbritannien Hitler militärisch unterstützen würde, um das Abkommen durchzusetzen. Dieser hinterhältige Ausverkauf hatte einen profunden psychologischen Effekt. Die einzige verbleibende Hoffnung war Russland, da viele unzutreffende Gerüchte über russische militärische Vorbereitungen kursierten. Zu einem Zeitpunkt wurde eine Nachricht veröffentlicht, dass die Generalmobilmachung direkt bevorstand. Ich erinnere mich, dass mein Vater, der zu diesem Zeitpunkt nach Brno übersiedelt war, und ein paar andere Verwandte, die erwarteten, einberufen zu werden, ihre Sachen packten. Aber es wurde nichts daraus und Beneš gab klein bei.

Als die Situation noch hoffnungsloser wurde, suchten einige meiner Mitschüler und ich nach einer Möglichkeit, der bewaffneten Untergrundbewegung beizutreten, die die deutsche Besetzung verhindern wollte. Wir versuchten, der tschechischen Nationalgarde beizutreten, die Jugendliche unseres Alters aufnahmen, ihnen Uniformen und Gewehre gab und dazu abordnete, Flughäfen und andere Einrichtungen zu bewachen, doch wir fanden schnell heraus, dass Juden dort nicht willkommen waren. Wir zogen auch die Kommunisten in Betracht, die in kleinen Einheiten organisiert waren und so in den Untergrund gehen konnten. Sie schlossen Juden nicht aus, aber man konnte nicht erwarten, dass sie jemanden aufnehmen würden, der zuvor kein Kommunist gewesen war. Die meisten meiner Mitschüler waren Zionisten. Obwohl die zionistischen Jugendorganisationen wahrscheinlich die Möglichkeit gehabt hätten, einen Untergrund zu organisieren, so waren noch all ihre Anstrengungen auf die Auswanderung nach Palästina gerichtet – und das mit allen Mitteln: legal oder illegal. Gerade vor der Annektion des Sudetenlandes schloss ich mich einer anti-deutschen Demonstration an. Ein paar hundert von uns begannen mit der Demonstration und bald schlossen sich eine Menge von zehntausenden Tschechen an, die wütend und frustriert waren. Zuerst bewegte sich die Demonstration zum Deutschen Haus, einer bekannten Hochburg der Nazis. Aber als den Massen die Deutschen als Feindbild ausgingen, begannen sie, jüdische Geschäfte zu attackieren. Einige taten das aus Antisemitismus und andere, weil die jüdischen Namen ihnen deutsch erschienen. Es war ein frustrierendes Erlebnis für mich. Als Resultat kam ich zu dem traurigen Schluss, dass wir keine Hilfe von den Tschechen erwarten konnten.

Wie ich vorher erwähnt habe, kamen meine Eltern zu mir nach Brno. Sie verließen Laa im frühen Herbst 1938 nach einem anonymen Hinweis, dass mein Vater verhaftet werden sollte. Sie blieben kurz in Miroslav, doch da Miroslav nach dem Münchner Abkommen Teil des Sudetenlandes war, gab es für sie keine Veranlassung, dort zu bleiben und auf die deutsche Besetzung zu warten. Mitte Oktober 1938 besetzte die deutsche Armee Miroslav. Alle Juden wurden vertrieben, aber die Tschechen verweigerten ihnen den Einlass in ihr Gebiet (obwohl sie tschechische Staatsbürger waren). Meine 80-jährige Großmutter, Betti Jokel, musste eine Nacht im Straßengraben verbringen. Letztendlich arrangierte mein Vater mit der Hilfe eines unseres Verwandten, der ein Arzt in Brno war (Alfred Keller, der Mann von Wally Jokel, der Schwester meines Vaters) einen Rettungswagen, in welchem mein Vater (mit eingeschaltetem Blaulicht) die tschechische Grenze passieren und meine Großmutter nach Brno bringen konnte.

Nach dem Fall des Sudetenlandes schien Auswanderung nach Palästina die einzige praktische Möglichkeit, den Nazis zu entkommen. Wie ich schon erwähnt habe, haben meine Eltern es versucht, doch waren nicht dabei erfolgreich, ein Zertifikat zu bekommen. Ich hingegen war in einer Jugendaliah-Gruppe, die plante, im frühen April 1939 loszufahren. Zu einer Zeit im Jänner verließ ich die Schule und ging in ein Lager, wo wir ein vorbereitendes Training durchliefen. Unsere Gruppe verließ Prag am 5. April 1939, fuhr mit dem Zug nach Marseille und mit dem Schiff von dort nach Haifa. Wir kamen am 14. April 1939 in Haifa an.

Hier sind einige Ereignisse aus der Zeit vor meiner Abreise, die von Interesse sind. Die Deutschen okkupierten die Tschechoslowakei in drei Phasen: zuerst das Sudetenland und Südmähren. Dann, gegen Dezember 1938, besetzten sie Brno und einige andere Gebiete mit deutscher Bevölkerung. Zuletzt, Anfang April 1939, besetzten sie den Rest der Tschechoslowakei und setzten eine Marionettenregierung ein. Ich war Augenzeuge des Einmarsches der deutschen Armee in beiden Städten, Brno und Prag. Als die Brno erreichen, stand ich am Gehweg und sah zu. Es war eine geisterhafte Stille und keiner der Zivilisten, die den Bürgersteig säumten, sprach ein Wort. Sie fuhren in Paradeformation in die Stadt ein, zuerst gepanzerte Einheiten, dann die Infanterie und hunderte von Motorrädern. Es war ein beinahe surreales Erlebnis. Mehrere Tage später besuchte ich die Familie eines Schulkameraden, eines Mädchens, das in derselben Jugendaliah-Gruppe war. Es war dunkel und die Straßen waren wie ausgestorben, aber in den meisten Fenstern waren große Weihnachtsbäume mit angezündeten Kerzen. Der Gedanke kam in mir hoch, dass all diese Leute wenigstens Zuflucht bei ihrer Familie fanden. Was immer auf sie wartete, sie würden überleben, wenn sie die Regeln befolgten. Aber wir waren wie gehetzte Tiere. Nie fühlte ich mich einsamer.

Als die deutsche Armee in Prag einmarschierte, wartete ich dort auf meine Abreise. Wir waren angewiesen worden, Gummistiefel und Regenmäntel nach Israel mitzubringen. Da das Wetter regnerisch war, trug ich diese an dem Tag, an dem die Deutschen einmarschierten. Das sah der schwarzen Lederkleidung ähnlich, die von den örtlichen Nazis getragen wurde, welche die Straßen säumten, um ihre „Befreier“ willkommen zu heißen. So wurde ich durch die Menge der Deutschen mitgerissen und konnte nicht wegkommen. Zuerst musste ich langen Reden von Keitel und Jodel zuhören. Ich werde nicht verstehen, wie erwachsene, gebildete Leute ihrem Nonsens und ihren offensichtlichen Lügen zuhören und jubeln konnten, selbst wenn sie Nazis waren. Ich sah auch Hitler, wie er in einem Fenster des Hradschin stand und sich mit dem Nazigruß der Menge zeigte. Natürlich jubelten die Deutschen (letztendlich waren sie jetzt die Herrenrasse) und die Tschechen blieben tendenziell der Straße fern und ließen sich nicht sehen (ich musste mich nicht sorgen, da ich für einen Deutschen durchgehen konnte).

Zu dieser Zeit dachten wir, dass jeder jüdische Reisende ein Risiko einging. So fuhr ich mehr als eine Woche vor dem eigentlichen Abreisedatum aus Prag ab. Mein Vater leistete mir einen Tag vor meiner Abreise Gesellschaft. Als wir uns an der Bahnstation verabschiedeten, sahen wir einander für eine lange Zeit still an. Intuitiv wussten wir, dass wir uns nicht mehr wieder sehen würden. Die Deutschen versuchten nicht, unsere Abreise zu behindern. Nur unser Waggon war während seiner Durchfahrt durch Deutschland versperrt.

Nach meiner Abreise blieben meine Eltern in Brno zurück. Am 28. Jänner 1942, beinahe drei Jahre nach meiner Abreise, wurden sie ins Theresienstädter Ghetto transportiert. Am 16. Oktober 1944 wurden sie nach Auschwitz deportiert und ermordet. Ich konnte mit meinen Eltern von Zeit zu Zeit korrespondieren, zuerst durch normale Post, nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs durch das Rote Kreuz. Ich konnte auch ein paar Essenspakete schicken. Einige, aber nicht alle meiner Briefe, erreichten meine Eltern.

Der Gedanke, dass meine Eltern hätten fliehen können, wenn sie alles zurückgelassen hätten, und aus Zentraleuropa herausgekommen wären, wenn irgendein anderes Land sie aufgenommen hätte, bereitet mir großen Schmerz. Dies ist besonders so, wo ich älter werde und verstehe, wie jung sie waren, als sie ermordet wurden. Ein Teil des Problems war, dass sie die Möglichkeit hatten, in die Tschechoslowakei auszureisen und meine Schulzeit in Brno hat ihre Entscheidung, dies zu tun, bekräftigt. Später, nach der Besetzung Mährens, fühlten sie sich verpflichtet, dem Rest der Familie zu helfen. Als es letztendlich klar wurde, dass die Situation völlig hoffnungslos war, gab es keinen Ort mehr, wohin sie hätten gehen können.

Wenige Mitglieder meiner engsten Familie überlebten den Holocaust. Von meiner Elterngeneration überlebten nur 4 von 23, ein Paar, das in Wien gelebt hatte und in die USA ausreisen konnte und ein Ehepaar, das in Merano, Italien, gelebt hatte. Von all den Leuten, die in der Tschechoslowakei gelebt hatten, hat niemand überlebt. In meiner Generation haben 6 von 15 Familienmitgliedern überlebt. Von den sechs sind drei nach Israel ausgewandert, einer ist nach Südamerika ausgewandert, einer überlebte Theresienstadt und einer Auschwitz.

Israel

In Israel war ich Teil der Jugendaliah-Gruppe aus Österreich und der Tschechoslowakei. Unser neues Zuhause war in Afikim, einem älteren Kibbuz im Jordantal. Die Idee war, uns die Ideale der zionistischen Arbeiterbewegung einzuprägen und uns für eine eigene Siedlung vorzubereiten. In den ersten zwei Jahren studierten wir die halbe Zeit die hebräische Sprache und Kultur und arbeiteten die restliche Zeit in den verschiedenen Bereichen der Landwirtschaft. Dann blieben wir noch ein Jahr, in dem wir Vollzeit arbeiteten. Als sich diese Zeit dem Ende zuneigte, überzeugte uns ein Mitglied einer neuen Siedlung in Ostgaliläa (Naameh – später Kfar Blum), ihnen beizutreten. Seine „Verkaufsmasche“ war außergewöhnlich und die Tatsache, dass er damit Erfolg hatte, noch außergewöhnlicher. Er sagte, dass Naameh (benannt nach dem benachbarten arabischen Dorf) eine kleine neue Siedlung war, die darum kämpfte, zu überleben. Die Malaria war dort manchmal so schlimm, dass jeder krank war und niemand übrig, der für die Kranken hätte sorgen können. Die Umstände seien äußerst primitiv und nur durch harte Arbeit würde dieser Ort überleben können. Die Siedlung war von teilweise feindlichen Arabern umgeben und die Britische Armee konnte sich jederzeit aus dem Gebiet zurückziehen, und so die Siedlung sich selbst überlassen, falls die Deutschen vorrücken würden. Wir entschieden uns trotzdem, beizutreten, und bereuten es nicht.

Nach ungefähr einem Jahr der Arbeit in unserer neuen Siedlung melde ich mich freiwillig, um im Palmach, unserer Untergrundarmee, zu dienen (unsere Siedlung musste zumindest ein Mitglied entsenden). Nach einer Trainingszeit wurde ich „Plugah Yamit“ (unserer wenig ausgereiften Marine) zugeteilt, die damit beauftragt war, die Verantwortung über die illegale Einwanderung aus europäischen Häfen zu übernehmen. Das war keine einfache Aufgabe, weil unsere Häfen durch die Britische Marine gesperrt waren. Als das Ringen mit der britischen Mandatsregierung kritische Ausmaße annahm, nahmen wir auch an Spezialeinsätzen gegen britische Einrichtungen teil (Bahnschwellen, Radar- und Polizeistationen und ein Lager der mobilen Polizeieinheiten (PMF)).

Am 29. Juni 1946 (dem „Schwarzen Shabat“) versuchte die Britische Armee, unsere politische und militärische Infrastruktur zu zerstören. Ich wurde zusammen mit 3000 anderen Israelis verhaftet und ins Gefangenenlager Latrun gebracht. Ich war dort in guter Gesellschaft, da viele unserer militärischen und politischen Führer, sogar der Oberrabbiner, dort waren. Ursprünglich versuchte der CID (Britischer Geheimdienst) ohne Erfolg, Informationen aus uns herauszupressen, aber nach einiger Zeit ließen sie uns ziemlich in Frieden. Mein Aufenthalt in dem Gefangenenlager war eher entspannend. Der „Yishuv“ überhäufte uns mit Essenspaketen und Büchern und ich nutzte die Zeit, um zu lesen. Ich wurde irgendwann im Oktober entlassen (ich weiß das genaue Datum nicht mehr) und entschied mich, meiner heutigen Frau, Shoshanna (Martha) Braun, einer Wienerin aus unserer Jugendaliah-Gruppe, einen Heiratsantrag zu machen.
Der Beginn einer Ehe bestand zu dieser Zeit im Kibbuz darin, dass man die Wohnkommission um ein gemeinsames Zuhause bat (unseres bestand damals aus einem Zimmer, dass 1,8 mal 2,4 Meter groß war, gerade groß genug, um mich in meinem Bett auszustrecken). Nachdem wir verheiratet waren, beantragte ich einen ausgedehnten Urlaub vom Palmach, welcher mir auch zugesichert wurde. Doch meine Freistellung sollte nicht lange dauern. Es kam zu einer Konzentration von syrischen Truppen an der Grenze und laut Geheimdienstberichten planten sie den Überfall auf eine unserer Siedlungen. Ich wurde dem „Yiftach“ Batallion zugeteilt, das zu dieser Zeit aus Ostgaliläa geleitet wurde und eine Einheit in Kfar Blum hatte. Wir waren damit beauftragt, am Tag Kontrollgänge entlang der Grenze durchzuführen. Der Grund dafür war offensichtlich, dass wir unsere Gegenspieler davon überzeugen wollen, dass wir nicht nur in den Siedlungen sitzen würden, um dort auf ihren Angriff zu warten. Aus der syrischen Attacke wurde nichts, aber im Februar 1948 begannen die Araber damit, unsere Transportwege zu attackieren. Unsere Einheiten eskortierten die Transportkonvois und waren in mehrere Feuergefechte verwickelt. Ich wurde kurz von der britischen Armee auf der Polizeiwache in Rosh Pina inhaftiert, als wir versuchten, mit einem provisorisch gepanzerten Pickup-Truck einen Bus zu erreichen, der in der Nähe von Safed unter Feuer geraten war. Aber wir wurden nach einigen Tagen freigelassen, als die Briten eine Drohung durch einen örtlichen Haganah Kommandanten erhalten hatten. Schließlich, Mitte März, schnitten die Araber Kfar Blum und zwei andere Siedlungen ab, indem sie einen Graben durch die Zufahrtsstraße des Dorfs Halso (heute Kiriat Schmoneh) gruben. Wir eroberten die Gegend, wurden aber durch die britische Armee wieder zurückgedrängt, wodurch die Siedlungen zeitweise abgeschnitten waren.

Mitte April 1948 verließen die Briten Galiläa und übergaben alle strategischen Lager und Polizeistationen den Arabern. Am 20. April versuchten wir ohne Erfolg, die Polizeistation Nebi Yushah zu erobern, die strategisch sehr wichtig war, und erlitten dabei tragische Verluste. Nach diesem Fiasko bereiteten wir uns auf einen Angriff auf Safed vor, der Teil der „Operation Yiftach“ war. Das jüdische Viertel von Safed war von 20.000 arabischen Soldaten umzingelt und stand unter ständigem Beschuss. Wir hatten einen Zug dort und es waren auch Irgun-Einheiten in Abwehrstellung, aber die Verteidiger waren hoffnungslos in der Minderheit. Als die Briten weggingen, gaben sie auch die strategisch wichtige Polizeistation Berg Kanaan an die Araber, wodurch sie alle Kommunikationswege mit dem jüdischen Viertel abschnitten (sie boten großzügigerweise an, die Juden zu evakuieren). Vor dem Angriff hatten wir Versorgungsgüter und Soldaten unter dem Schutz der Dunkelheit durch sehr schwieriges, von Feinden kontrolliertes Gebiet gebracht. Nach einem erfolglosen Angriff konnten wir letztendlich die strategisch wichtige Position in der Stadt am 12. Mai, bloß zwei Tage vor der Ausrufung des Staates Israels, einnehmen. Wir erwarteten einen schweren Kampf um das arabische Viertel und die Polizeistation in Kanaan, aber zu unserer Überraschung waren alle Araber über Nacht verschwunden. Sie überließen uns einfach die Kontrolle über die Stadt. Die Eroberung von Safed demoralisierte die Araber und sie verließen die meisten der Dörfer in Ostgaliläa (wir zwangen sie niemals zu gehen). Nach der Operation Yiftach waren wir, bezogen auf die gesamte Kriegsanstrengung, nur am Rande in den Unabhängigkeitskrieg involviert. Eine wichtige Operation, in welcher wir eine Schlüsselrolle einnahmen, war die „Operation Dani“, in welcher wir an der Eroberung von Lyddah und Ramleh (die heutige Gegend des Ben Gurion Flughafens) beteiligt waren. Nach dem zweiten Waffenstillstandsabkommen wurden wir in Zahal (IDF) integriert. Es war schwierig für uns, das zu akzeptieren, weil unsere Organisation egalitär war und wir keine solchen Dinge wie Uniformen, die den Rang bekanntgaben, Salutieren, Offiziersmessen und Privilegien hatten. Um die Wahrheit zu sagen, waren unsere gewöhnlichen Soldaten zu dieser Zeit wohl besser ausgebildet und qualifiziert als die meisten Offiziere der neu erstandenen Armee.

Shoshanna diente auch im Unabhängigkeitskrieg. Sie arbeitete als Krankenschwester und in Kfar Blum war sie für das Lazarett verantwortlich. Sie war auch für das geheime Waffenlager in Kfar Blum („Slik“) verantwortlich und eine Ausbilderin für Handfeuerwaffen. Sie wurde auch in die regionale Ostgaliläische Heeresleitung eingezogen, wo sie die Sanitätereinsätze organisierte. Später diente sie in der gleichen Funktion im Oded Batallion. Ich wurde im Jahre 1950 offiziell aus der Armee entlassen.

Nach dem Krieg kehrten wir nach Kfar Blum zurück, wo wir bis zum April 1956 blieben, mit einer kurzen Unterbrechung im Jahre 1950, als Shoshanna in die USA reiste, um ihre Familie zu besuchen, und ich außerhalb des Kibbuz arbeitete, um das Geld für ihre Reise zu verdienen. Ihre Schwester und ihr Bruder, die jünger als sie sind, hatten Österreich vor dem Krieg verlassen und waren in die Vereinigten Staaten emigriert (ihre Auswanderung wurde durch Bnei Brit gesponsert). Ihre Eltern überlebten den Krieg in Wien (ihre Mutter war „arisch“ und so konnte sie den Vater unterstützen und beschützen) und nach dem Krieg kamen sie zu ihren Kindern in die USA. In Kfar Blum war ich zwischen 1950 und 1956 für die Entwürfe und die Konstruktion der Umleitung des Hazbani-Dan Flusses zuständig, eines regionalen Bewässerungsprojektes, das meine Vorstellungen beflügelte. Shoshanna war für die Organisation der Arbeiter des Kibbuz zuständig (Aufgabenzuteilung – sidur avodah), vielleicht eine der schwierigsten Aufgaben, die es gibt.

Unsere zwei älteren Kinder wurden zu dieser Zeit geboren. Uri, unser ältester Sohn, kam 1951 zur Welt. Zur Zeit seiner Geburt diente ich der Armee als Reservist. Es gab eine Krise mit den Syrern, die versuchten, den Bau eines Dammes im Fluss Jordan in der entmilitarisierten Zone zu verhindern. Ich war der Geheimdienstoffizier des regionalen Kommandos. Im Rückblick wünschte ich, die Syrer hätten in ihrem Bestreben Erfolg gehabt, denn das Projekt, welches mit dem Trockenlegen der Huleh-Sümpfe verbunden war, führte zu einer Umweltkatastrophe mit globalem Nachspiel. Unsere Tochter Yael wurde 1953 geboren.

Vereinigte Staaten

Nach meinem Abschied von der Armee dache ich über meine zukünftige Karriere nach. Solange man sich großen Schwierigkeiten entgegenstellt, ist die momentane Arbeit die eigentliche Herausforderung und man ist zufrieden, doch wenn die Arbeit Routine wird, muss man sich die Frage stellen, ob man sein Potenzial schon erfüllt hat. Ich entschied mich, Ingenieurwesen zu studieren und schrieb mich in einem entsprechenden Kurs am British Institute of Engineering Technology ein. Im Jahr 1950 wollte ich auf die Technische Universität in Haifa wechseln, doch dort wurde mir gesagt, dass sie mit Anträgen von jungen Leuten überschwemmt seien und sie mich deshalb abweisen würden (ich war im Jahr 1950 „schon“ 28 Jahre alt). Ich war durch ihre Reaktion gekränkt und entschied mich, woanders zu studieren. Im Jahr 1956 wurde Shoshannas Vater sehr krank und wir entschieden, gemeinsam mit den Kindern die USA zu besuchen. Während wir in den USA waren, wurde ich von der Ingenieursabteilung der Universität von Connecticut akzeptiert. Als ein ausländischer Student durfte ich 30 Stunden je Woche arbeiten und später wurde die 30 Stunden Beschränkung wegen meiner guten Studienergebnisse aufgehoben. Ich ging von 8 Uhr Früh bis 13 Uhr zu Vorlesungen und arbeitete dann in einem Ingenieurbüro bis 22 Uhr. Diese Einteilung funktionierte gut und später, nachdem wir eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung bekommen hatten, konnte Shoshanna auch als Lehrerin arbeiten. Ich bekam den Bachelor of Science in Hoch- und Tiefbau im Jahre 1959 und mein Studienberater schlug vor, dass ich meine Studien weiterführe. Ich begann mein Studium für höhere Fachsemester und bekam den Magister in Hochbau im Jahr 1961 und einen Doktor in Bodenmechanik im Jahr 1963. Ich bekam auch eine Lizenz in Ingenieurwesen und Landvermessung.

Unser jüngster Sohn, Benjamin, wurde im Jahr 1961 geboren.

Im Jahr 1962 ging ich zur Firma John Clarkeson in Albany (New York) und später gründeten wir die Firma „Clarkeson, Clough and Yokel“, die ungefähr 200 Ingenieure und Techniker beschäftigte. Nach mehreren Jahren der Beratertätigkeit entschied ich mich, meine akademische Laufbahn fortzusetzen. Ich nahm eine Professorenstelle am Lehrstuhl für fortgeschrittene Technologie an der State University of New York (SUNY) in Binghamton an, und als die SUNY entschied, ihre Doktorandenkurse nicht weiterzuführen, nahm ich eine Stelle am nationalen Eichamt in Washington an (heute: National Institute of Standards and Technology), wo ich Forschungsprogramme in geotechnischem, strukturellem und erdbebenbezogenem Ingenieurwesen durchführte. Ich machte meine Arbeit gerne und veröffentlichte über 100 Abhandlungen.

Shoshanna studierte an der Universität von Maryland. Sie bekam ihren Bachelor und Magister in deutscher Literatur und machte ihren Doktor in Linguistik. Sie unterrichtete deutsche Literatur an der Universität von Maryland und später Fremdsprachen (Deutsch, Hebräisch, Französisch) in öffentlichen Schulen des Bezirks Montgomery County in Maryland. Wir gingen beide im Juli 1993 in Pension, ich im Alter von 71 Jahren, sie mit 69. Obwohl ich immer noch Beratungstätigkeiten ausübe, möchten wir jetzt reisen und campen und Dinge tun, für die wir bisher noch keine Zeit hatten.

Unsere Kinder leben ihr eigenes Leben und wir sind stolz auf ihre Leistungen. Uri ist Architekt und lebt mit seiner Frau Kathy, einer Physiotherapeutin, in der Gegend von Washington DC. Sie haben drei Kinder: Nathan, 13, Erin, 11, und Zachary, 7. Yael ist Ärztin und hat sich auf Innere Medizin spezialisiert. Sie lebt mit ihrem Mann, John, einem Manager, in Florida. Sie haben zwei Töchter, Coral, 7, und Hope, 4. Benjamin ist auch Arzt und auf Hauterkrankungen spezialisiert. Er lebt mit seiner Frau Heidi, einer Diplomkrankenschwester, in Minnesota. Sie haben zwei Kinder, Ilana, 4, und Joshua, 2.

Jetzt, wo ich auf mein Leben seit dem Anschluss zurückblicke, beginne ich zu verstehen, dass ich niemals unter Mangel gelitten habe. Jede Schwierigkeit oder Gefahr, die ich erlebte, habe ich als Herausforderung oder sogar Abenteuer angesehen. In Hinblick auf das schreckliche Schicksal meiner Familie fühle ich mich schuldig. Ich bin auch zunehmend darüber aufgebracht, wie egal das Leid der Juden den Alliierten während des Holocausts war. Die Tatsache, dass viele der Gefangenen in Theresienstadt und andere Juden hätten gerettet werden können, ist inzwischen vollständig dokumentiert.