Über mich

Seit ich mit 16 Jahren durch einen Zufall auf die jüdische Geschichte meiner Heimatstadt stieß, sind 2 1/2 Jahrzehnte vergangen. 25 Jahre sind eine lange Zeit – deutlich mehr als die Hälfte meines Lebens. Franz Kafka sagte: „Mütterchen Prag hat Krallen – sie lässt nicht los.“ So hat mich die jüdische Vergangenheit von Laa an der Thaya nie ganz losgelassen – manchmal vielleicht an der langen Leine, doch nie so ganz.

Heute bin ich über 40, als ich mit dem Recherchen begann, war ich ein Teenager. Jetzt, wo ich die Briefe nach längerer Zeit wieder in Händen halte, bin ich überwältigt von der Freundlichkeit und ich möchte auch Zuneigung sagen, die mir aus den Briefen entgegenströmt. Es wird mir durch sie auch klar, wie viel mehr ich hätte fragen wollen, was ich nicht erfragt habe. Doch ich sehe auch, dass es gar nicht nur darauf ankommt, welchen „historischen Wert“ diese Begegnungen hatten. Nach all den Jahrzehnten im Exil hatte ein halbes Kind ehrliches Interesse und versuchte, Menschen zu zeigen, dass sie nicht vergessen waren. Es hat mir viel bedeutet, als der Sohn eines ehemaligen Laaers gesagt hat, das hätte einen großen Unterschied gemacht. Mehr kann man sich nicht wünschen.

mein Sohn und ich vor dem Denkmal für die jüdische Gemeinde in Laa – August 2016

Als ich meine Recherchen begann, hatte ich eine stark durch meinen Geburtsort geprägte Identität und konnte nicht glauben, dass sowohl meine Mutter als auch ich im Glauben aufgewachsen waren, dass Juden vor dem 2. Weltkrieg nur in Wien gelebt hätten. Mein Artikel „Lügen in Laa“, mit dem ich einen Schreibwettbewerb gewann, erzählt aus dieser Zeit. Ich wollte das herausfinden, von dem ich mir damals dachte, es sei mir vorenthalten worden. Ein Abenteuer außergewöhnlichen Ausmaßes sollte beginnen – zumindest habe ich es immer so erlebt.

Wieso ich nach all der Zeit noch damit beschäftigt bin – ich kann es nicht sagen. Es hätte auch ein kurzer jugendlicher Anflug sein können, ein Interesse, das nach ein paar Monaten oder auch wenigen Jahren versiegt. So war es nicht. – – Wenn ich in letzter Zeit mit dem Staubsaugen beschäftigt bin, habe ich überraschend tiefe Gedanken. So fragte ich mich, was ich antworten würde, wieso ich mich noch mit der Laaer jüdischen Gemeinde befasse, mir jetzt schon seit einem Vierteljahr mit der Neugestaltung der Webseite die Nächte um die Ohren schlage. Die Antwort ist so einfach wie ungenau – wer könnte bei den wirklich wichtigen Entscheidungen erklären, wieso er sie getroffen hat. Wer kann genau sagen, wieso es genau dieser Lebenspartner wurde. Eine einfache Antwort ist nicht möglich. Wir tun das im Leben mit Leidenschaft, was uns wichtig scheint oder von Bedeutung und richtig – zumindest sollten wir das.

 

In meinem Elternhaus wuchsen die Bilder der einstigen jüdischen Laaer Gemeinde bald über die größte freie Wand – heute sind sie in einem Album zusammengefasst.

Der Blick zurück ist mit vielen schönen Erinnerungen an viele besondere Zusammentreffen verbunden. Eine besondere Freude war es mir immer, wenn sich ehemalige Laaer durch mich wiederfinden konnten. Dies war ein paar Mal möglich und was es für einen Menschen bedeutet, Freunde wiederzufinden, die seit Jahrzehnten als verschollen galten, kann man wohl nur ein Stück weit nachfühlen, aber gut verstehen.

 

Treffen in Israel: Hilda White (Australien), Ernst Neumann (Israel),
Karola Zucker (Israel), Dr. Felix Yokel (Maryland – USA)

 

Treffen in Israel: (v. links n. rechts) Ernst Neumann, Hilda White, Dr. Felix Yokel

Bedenkend, welche Suche nach der Nadel im Heuhaufen es war, wie viel Erfolg mir mit 12 gefundenen ehemaligen Laaern auf 4 Kontinenten (alle außer Afrika) beschert war, hatte ich mehr als Glück. Trotzdem blieben auch manche Gesuchte weiterhin verschwunden, so zum Beispiel Heini Blau. Er war der jüngere Cousin von Karola Zucker gewesen und in ihren Kindertagen in Laa ihr Spielkamerad. In den 60ern hatte Herr Dushek, ein ehemaliger Lehrer von Karola, ihr zwar geschrieben, Heini sei als amerikanischer Soldat in einem Dorf bei Laa gesehen worden, dass es sich hierbei um ein Gerücht oder eine Verwechslung gehandelt hat, hat Karola nicht mehr erfahren. Ich habe erst fast 10 Jahre nach ihrem Tod erfahren, dass er den Holocaust nicht überlebt hat. (Genaueres dazu finden Sie hier.)

 

Treffen anlässlich der Hochzeit von Ernst Neumanns Enkelin:
(v. links n. rechts) Ernst Neumann, Karola Zucker, Kurt Maneles mit Gattin

 

Laa: Hilda White mit ihrer Wiener Verwandtschaft in Laa

 

Slowakei: Ehepaar Zucker mit den Töchtern der Cousine von Karola Zucker

Auch Familienfeste wie die kirchliche Hochzeit meiner Schwester wurden zu internationalen Treffen. Aber kein Wunder, wir waren eine Familie geworden.

Doch all die Jahre haben auch noch viele andere Bekanntschaften gebracht. Ich nenne sie meine „Dazugekommenen“, das heißt Menschen von anderen österreichischen Gemeinden und manchmal sogar ihre Kinder, die durch Zufall mit mir in Kontakt gekommen sind, weil es das Thema bedingte, die alte Heimat oder vielleicht auch das Schicksal uns zusammenführte.
Der Mensch ist nichts ohne Freunde, ich bin dankbar für sie.

 

Marty (USA) mit seiner Schwester (Israel) und seinen Eltern (ehem. Wien / USA)

 

Bronia Sonnenschein (ehem. Wien / Vancouver)

Bronia hat in ihrem Buch „Victory over Nazism: A Holocaust Survivor’s Journey“, aber auch vor hunderten Schulklassen und vielen tausenden Jugendlichen über ihr Überleben Zeugnis abgelegt. Das Bild wurde 2002 aufgenommen. Sie trägt die „Queen’s Golden Jubilee“ Medaille für ihre außergewöhnliche freiwillige Tätigkeit zum Wohle einer besseren Zukunft.
Auf ihrer Webseite kann man Filme sehen, in denen sie über ihr Leben und Überleben erzählt. Es ist mir eine überaus große Ehre, in ihrem Buch vorzukommen. Sie hat den ersten Brief, den sie mir geschrieben hat, dort auf den Seiten 118 und 119 veröffentlicht.
An anderer Stelle können Sie auch einen Artikel über eine rettende Begebenheit in ihrer Zeit im Konzentrationslager lesen.

Gertie & Fred Blau (ehem. Wien – Arizona / USA)

Sabra & Tony Morton (USA)

Kurt Grübler (ehem. Wien / Maryland – USA) & Shirley Rosenberg (St. Louis – Maryland)

Rachel und Siegfried Garfunkel

 

mit dem Ehepaar Travers (ehem. Wien / Australien)

Seit Anfang meiner Recherchen war es für mich von großer Wichtigkeit, die Erinnerung an die Mitglieder der Laaer jüdischen Gemeinde wach zu halten. Das liegt daran, dass es meine feste Überzeugung ist, dass man nicht völlig stirbt, solange es noch eine Person gibt, die sich noch an den Verstorbenen erinnert. Vergessen zu werden, kann mit einem zweiten Sterben gleichgesetzt werden. Natürlich könnte man sagen, dies sei ebenso ein natürlicher Vorgang. Wer erinnert sich noch an den Großvater seines Großvaters? Im Falle der jüdischen Gemeinde meiner Heimatstadt muss die Situation aber anders bewertet werden. Die jüdischen Bürger von Laa an der Thaya wurden vertrieben oder ermordet. Die jüdischen Bürger von Laa zu vergessen, ist, als stimmte man dem Genozid im Nachhinein zu. Die Erinnerung zu bewahren, ist ein Weg, den jüdischen Laaern ein Fragment von Laa, der Heimat, der sie beraubt wurden, zurückzugeben.

Weiters sehe ich Laa an der Thaya als Beispiel für Prozesse, die sich in vielen kleinen Städten Europas vor über 60 Jahren so zugetragen haben. Von diesem Standpunkt aus gesehen ist Laa nicht nur ein winziger Fleck auf der Landkarte. Es hat Beispielcharakter, wenn die Verführbarkeit der Menschen und die Empfänglichkeit für gefährliche Botschaften aufgezeigt werden soll. Aus diesem Grund ist es nicht nur wichtig, dass Menschen in der direkten Umgebung von Laa über die Geschichte der Stadt Bescheid wissen, auch Menschen auf der ganzen Welt sind dazu aufgerufen, aus ihr zu lernen.

Zuletzt möchte ich eine Geschichte wiedergeben, die erklärt, wieso es wichtig ist, die Geschichte der Laaer jüdischen Gemeinde auch in die nächsten Jahrhunderte zu tragen:

Elie Wiesel, Überlebender mehrerer Konzentrationslager, leitete an einem College in New York einen Kurs über den Holocaust. Eines Tages fragte ihn ein Student: „[…] Wir selbst waren damals nicht dabei, was sollen wir also an die Generation unserer Kinder weitergeben? Sie haben selbst gesagt, dass man sich nicht vorstellen kann, wie es war, Häftling eines Konzentrationslagers gewesen zu sein, wenn man es nicht selbst war. Wie können wir dann anderen Menschen darüber erzählen?“
„Ja“, sagte Elie Wiesel. „Ihr werdet es nie völlig verstehen. Aber ihr wisst, dass da etwas gewesen ist. Ihr werdet über einen Vorfall Bescheid wissen, über eine Träne. Das ist es, was ihr erzählen sollt.“ Wiesel fuhr fort: „In meinen Büchern vermeide ich es, Geschichten zu wiederholen. Ein Mal habe ich es trotzdem getan. Diese Geschichte erzählte ich in zwei Büchern.“

Dann erzählte er eine Legende, eine Chassidische Geschichte. Sie handelte von vielen berühmten Gelehrten, doch sie begann mit dem Gründer des Chassidismus, dem Baal Shem Tov, was „Meister des guten Namens“ bedeutet.
Es gab Anzeichen, dass eine Katastrophe nahte. Da ging der Baal Shem zu einem bestimmten Platz im Wald, zündete eine Kerze an, sagte ein Gebet und das Unheil wurde verhindert. Ein Schüler des Baal Shem war mit einem drohenden Unglück konfrontiert. Er kannte den besonderen Platz im Wald, er wusste über die spezielle Art die Kerze zu entzünden Bescheid, das Gebet kannte er nicht. Trotzdem wurde die Katastrophe abgewendet. Ein weiterer Schüler befand sich in einer ebenso schwierigen Lage. Er kannte den Platz im Wald, jedoch war das Wissen um das richtige Entzünden der Kerze und das Gebet verloren gegangen. Das Unheil konnte verhindert werden. Der letzte Schüler kannte nicht mal mehr den genauen Platz im Wald. Alles, das er tun konnte, war die Geschichte zu erzählen. Selbst dies führte dazu, dass das Gefürchtete nicht eintrat.

„Was könnt ihr also euren Kindern erzählen? Erzählt ihnen, dass ihr die letzten Überlebenden gekannt habt. So wie die Überlebenden am Leben waren, als es geschah, wart ihr da, um ihre Geschichten zu hören. Sagt ihnen: Wir kannten die letzten Überlebenden. Dann werden sie euch zuhören. Aber sie werden die selbe Frage stellen: Was sollen wir unseren Kindern erzählen? Sie können erzählen: Wir haben noch jemanden gekannt, der die letzten Überlebenden kannte. Wir hörten die Geschichten von jenen, die sie direkt von den Überlebenden hörten. […] Und die Frage wird wieder und wieder gefragt werden und die Geschichte wird wieder erzählt werden. Wieder und wieder wird sie erzählt werden.“

(aus: Kurzweil, Arthur: From Generation to Generation. How to trace your Jewish genealogy and family history. New York: Harper Collins 1994.)

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