Buchtipp

Erinnerungen der nächsten Generation – „Looking back and moving forward“

Für die meisten Mitteleuropäer ist es heutzutage schwer vorzustellen, wie es ist, mit nur einem Koffer in der Hand auf einen anderen Kontinent zu ziehen – ohne Kenntnisse der dortigen Landessprache oder Sicherheit irgendwelcher Art. In einer Zeit, in der Schiffe statt Flugzeuge die Langstreckenverkehrsmittel darstellten, bedeutete so eine Fahrt eine Reise ohne Wiederkehr – umso mehr, als die Fahrt ja nicht aus Vergnügen, sondern als Flüchtling zurückgelegt wurde. Zurückgelassen wurden nicht nur liebgewonnene Orte, Besitztümer, sondern auch vorrangig Menschen, deren Zukunft und nacktes Überleben auf dem Spiel stand.

Was bedeutete es, als Kind dieser Generation von jüdischen Flüchtlingen in Süd-Amerika, im Speziellen in Peru, aufzuwachsen? Willie Gruenwald gibt in seinem dritten und eben erst erschienen Buch (2021) Anworten darauf. Doch es sind nicht nur Antworten, er involviert den Leser immer wieder durch Fragen, und so scheint es, als wäre der Autor selbst im Raum und würde sich über einer Tasse Tee mit dem Leser über sein Leben unterhalten. Der sehr persönliche Stil zeugt von der Authentizität der Geschehnisse und lässt die Generation, die direkt nach dem Krieg in einer neuen Heimat aufwuchs, welche erst die Heimat der Eltern werden musste, sehr lebendig erscheinen. Er behandelt in 6 Kapiteln, an deren Ende immer eine kurze Zusammenfassung steht, wichtige, prägende Themen seiner Jugend, wobei durch einen Untertitel, der immer in Form einer Frage an den Leser gestellt wird, schon mit einem Augenzwinkern die Richtung angedeutet wird. (Z.B. „Homesickness. Why?“)

Willie Gruenwald widmet „Looking back and moving forward“ seinen Enkeln, die nicht mehr in Peru leben. Sie sollen verstehen, unter welchen Umständen der Großvater aufgewachsen ist. Er behält aber auch immer das Große und Ganze im Blick und so gewinnt der Leser einen raren Eindruck, wie es damals für jene weitergegangen ist, die es geschafft haben, Hitler-Deutschland zu entkommen.

„Looking back and moving forward. Memories of an immigrant’s son“ ist im englischen Original auch am deutschen Buchmarkt erhältlich. Wer nach der Lektüre noch mehr von Willie Grünwalds Leben in Peru und später in den USA erfahren will und die imaginäre Unterhaltung mit dem Autor weiter fortsetzen will (die Tasse Tee am besten immer bereitgestellt), dem seien auch die chronologisch an das aktuellste Werk angeschlossenen Bücher empfohlen:
Conversations with my father
Confessions of an Insurance Company Safety and Health Consultant

Durch die Mischung aus Lebensweisheiten und unterhaltsamen, manchmal augenzwinkerndem Kommentar und einem sehr freundschaftlichen Ton kann sich der Leser nach dem ersten Buch den anderen kaum noch entziehen.