Erinnerungen von George Adler, Sohn von Leo Adler
Leo Adler, mein Vater, wurde in eine Welt geboren, in der Juden in Europa verfolgt oder bestenfalls toleriert wurden. Wegen diesem andauernden Antisemitismus floh er aus Nazi-Österreich nach Australien.
Seine Mutter Bertha brachte ihn am 31. Dezember 1906 im kleinen Dorf Yablonitz zur Welt, das damals in Mähren lag, einem Teil der österreichisch-ungarischen Monarchie. Sein Vater, Rudolf, ließ den Geburtstermin auf den 1. Januar 1908 eintragen, um den Wehrdienst ein Jahr zu verschieben.
Als Leo noch ein Kleinkind war, zogen seine Eltern mit seinem neugeborenen Bruder Walter nach Laa an der Thaya, auf der österreichischen Seite der Grenze zur heutigen Tschechischen Republik, damit Rudolf eine Stelle als Verwalter eines Gutshofs antreten konnte.
Meine Erinnerungen an Papas Leben in Laa sind nicht chronologisch und nicht unbedingt exakt, da ich noch sehr jung war, als er mich mit den Geschichten aus seiner Vergangenheit in den Bann zog. Diese Geschichten, die er alle auf Deutsch erzählt hat, haben meinen jungen Geist mit lebendigen Bildern seines frühen Lebens gefesselt. Ich werde Ihnen nun einige davon erzählen.
Rudolf, Papas Vater, war ein Feldwebel in der österreichischen Armee und entsandt an die russische Front von 1914 bis zum Ende des Kriegs. Vater hat mir von den Heimatbesuchen seines Papas in diesen Jahren erzählt, wie stolz er auf ihn war, auf seinem Pferd mit dem Degen auf der Seite. Wie sein Vater nicht gekämpft und Beförderungen verweigert hat, damit er nicht töten musste. Stattdessen hat er ein Pferdelazarett hinter den Frontlinien geleitet. Wie er sich freute, als er einen widerlichen preußischen Offizier überlistete, indem er ihm ein Pferd gab, das ihn dann abwarf.
Die Augen meines Vaters leuchteten, als er diese Geschichte erzählte. Rudolf wählte ein Ersatzpferd für diesen Preußen aus, das sich aufbäumte, sobald man die Zügel anzog. Strikt nach dem preußischen Kavallerieprotokoll stieg der Offizier auf, zog die Zügel an und landete auf dem Boden. Der Offizier gab sich nicht geschlagen, stand wieder auf, sammelte sich, und wiederholte das ganze. Nach zahlreichen Begegnungen mit dem Boden beschwerte sich der Offizier dann bei Rudolf, dass das Pferd schlecht sei. Rudolf rief daraufhin nach den Kindern, die in der Anlage nach Essen suchten, und ließ sie das Pferd besteigen. Sie hielten die Zügel locker und keines von ihnen wurde abgeworfen. Der Preuße stieg einigermaßen beschämt wieder auf das Pferd, nur um einige Sekunden später wieder auf dem Boden zu liegen. Der Geschichte nach gab der Preuße nicht auf, bis er ins Krankenhaus abtransportiert wurde.
Vater erinnerte sich auch daran, dass Rudolf ihm erzählt hatte, dass er regelmäßig sein Essen mit russischen Kriegsgefangenen geteilt hatte und mit ihnen an einem Tisch saß. Er sagte, dass er ihnen gegenüber keine Feindseligkeit verspürte, wie auch die meisten österreichischen Soldaten, die mit ihm dort waren (ich habe ein altes Foto, das er davon gemacht hat).
Mein Vater hat auch davon erzählt, dass Rudolf, nachdem der Krieg zu Ende war, einen Truppenverband an der Grenze, wo sie lebten, leitete, und von regelmäßigen Feuergefechten zwischen der einen Seite und der anderen mit Gewehren und Maschinengewehren. Er erinnerte sich daran, wie er und sein Bruder im Alter von etwa 10 Jahren sich während diesen Feuergefechten neben den Soldaten vorbeizwängten, um die heißen Patronenhülsen einzusammeln, die von ihren Mausers ausgeworfen wurden. Weiter erzählte er davon, wie er und sein Bruder die Trachte Prügel ihres Lebens bekamen, als ihre Mutter von diesen gefährlichen Abenteuern Wind bekam.
Er erklärte, dass, als er vom Kind zum Teenager und weiter zum jungen Mann heranwuchs, es eine kleine Gruppe von Freunden gab, die unabhängig von ihren religiösen Überzeugungen zusammenblieb. Es waren insbesondere zwei katholische Mädchen, die daraus eine gemischte Gruppe machten. Die antisemitischen Sprüche, dass sie Judenfreunde seien, waren ihnen egal, sie waren alle nur Freunde. Eine von ihnen, die ich traf, als sie 90 war, erzählte mir, wie es bei ihnen Brauch war, dass wenn die Mädchen und Burschen Mais schälten und ein Junge rosa Mais fand, er von den Mädchen geküsst werden musste. Sie erzählte auch, dass mein Vater seinen Mais rosa gefärbt hatte, um an zusätzliche Küsse zu kommen.
Eine andere Geschichte war, wie er und seine Freunde ein Aufzieh-Grammophon in den frühen Morgenstunden durch die Straßen von Laa trugen und das ruhige Dorf störten, was ihnen nachgeworfene Schuhe und laute Beschwerden einbrachte, und sie erst aufhörten, als sie von der örtlichen Polizei verfolgt wurden. Wie er, als sein deutscher Schäferhund, Luxal, drei fette Gänse aus der Speisekammer seiner Mutter stahl, sein letztes Geld zusammenkratzte, um sie durch drei magere Exemplare zu ersetzen, und wie seine Mutter nicht verstehen konnte, wie die Gänse geschrumpft sein konnten, wie er aber trotzdem damit davonkam.
Papa erzählte weiter, wie er sich in Gretl verliebte, eines der zwei katholischen Mädchen in ihrer Gruppe, und wie glücklich die beiden waren, wenn sie zusammen waren. Trauriger Weise gewann die Nazibewegung zu dieser Zeit an Kraft, und er und sein Bruder waren regelmäßig in Auseinandersetzungen mit der Nazijugend verwickelt. Die meisten Juden nahmen die Prügel einfach hin, aber Vater erzählte stolz, wie er und sein Bruder sich ihren Angreifern entgegenstellten, obwohl diese in der Überzahl waren. Er vermutete, dass das wahrscheinlich sein Leben gerettet hat, als er letzten Endes ins Gefängnis ging, als 1938 die Juden zusammengetrieben wurden.
1938 wurden er und sein Bruder auf der Laaer Polizeiwache für das Verbrechen, ein Jude zu sein, eingesperrt. Sie wurden dazu gezwungen, Hundehaufen mit ihren Fingern aufzuheben, und andere erniedrigende Aufgaben auszuführen, wenn sie gerade nicht von ihren früheren Schulkameraden, die inzwischen Nazis waren, verprügelt wurden. Vater wurde von einer Gruppe so grausam geschlagen, dass er als Folge sein Gehör fast komplett verlor. Er wäre wahrscheinlich totgeschlagen worden, wären nicht einige Nazis dazwischen gegangen, mit denen sie früher gekämpft hatten, die sagten: „Verschont sie, die sind nicht so schwach wie normale Juden, die sind mehr wie wir, die wehren sich.“
Die Familie Adler musste schon vorher Pläne gemacht haben, um vor den Nazis zu fliehen, da sie Einwanderung in Australien beantragt hatten. Im Gegensatz zu vielen anderen Juden, die nach Polen oder Frankreich flohen, entschieden sie sich für eine große Entfernung, genau wie die meisten Verwandten. Australien wurde aus zwei Gründen ausgewählt: Erstens war es eines der sehr wenigen Länder, das jüdische Flüchtlinge aufnahm, und zweitens hatte Rudolf mit vielen deutschen Soldaten gesprochen, die an der Westfront gegen die Australier gekämpft hatten. Sie haben ihm erzählt, dass die Australier die besten Soldaten waren, gegen die sie je gekämpft hatten, und Rudolf sagte, dass „ein Land, das so großartige Soldaten hervorbringt, ein guter Ort zum Leben sein muss“ (ein ziemliches Kompliment vom Feind).
Im Nazi-Österreich von 1938 war der Plan, die Juden auszurotten, noch nicht in Kraft getreten, und daher konnten Juden emigrieren, wenn sie pro Kopf 200 Pfund bezahlen konnten, was damals ein kleines Vermögen war, und sie bereit waren, eine Erklärung zu unterschreiben, wie gut sie vom Nazi-Regime behandelt worden waren. Eine weitere Voraussetzung war, dass sie allen Landbesitz und ihre Wertsachen abgaben. Sie hatten das Glück auf ihrer Seite, da ein unbekannter ägyptischer Jude das Lösegeld bezahlte. Daraufhin wurden sie freigelassen und reisten per Schiff nach Australien.
Papa erzählte mir von seinen Qualen, weil er die zurücklassen musste, die er liebte, ohne zu wissen ob er sie jemals wiedersehen würde. Sein Bruder und er beschlossen, dass sie nach ihrer Ankunft in Australien jeden Penny, den sie verdienten, dafür zurückzulegen, die Freiheit ihrer Eltern zu erkaufen, obwohl sie sich danach sehnten, die Mädchen herauszuholen, die sie heiraten wollten. Er erklärte mit einer Träne in den Augen, dass seinen Eltern der Tod durch die Nazis drohte, aber ihren katholischen Freundinnen nicht.
Sie kamen ohne einen Penny in Australien an und machten sich daran, das Geld zu erarbeiten, das sie für die Freiheit ihrer Eltern brauchten. Kurz nachdem sie angekommen waren, war Australien im Krieg mit Deutschland. Beide Brüder versuchten, sich für das Militär zu verpflichten, um gegen die Nazis zu kämpfen, wurden aber abgelehnt, da Australien befürchtete, dass unter den Flüchtlinge Spione seien.
Papa fand schnell Arbeit in einer Fabrik, die Kriegsgerät herstellte. Er erwies sich als erfinderisch, und eine Verbesserung, die er sich ausgedacht hatte, durch welche die Hurricane-Lampe weniger anfällig gegen Ausblasen bei starkem Wind war, wurde in die Produktion übernommen. Er entwickelte außerdem eine Methode, mit der überschüssiges Lötzinn gesammelt und wiederverwendet werden konnte. Das führte dazu, dass er zum Aufseher befördert wurde, in dessen Verantwortung es lag, das Werk zu zerstören, falls der Feind in das Land einfallen sollte. Wäre er dieser Verantwortung nicht nachgekommen, hätte er automatisch eine Gefängnisstrafe von 6 Monaten bekommen. Das Witzige daran ist, dass ein anderes Gesetz besagte, dass alle „feindlichen Ausländer“, zu denen er gehörte, sich sofort ins Hinterland zurückziehen mussten, sobald eine Invasion bevorstand. Die Strafe bei Zuwiderhandlung waren 6 Monate Gefängnis. Er hat sich sehr gefreut, dass nie eine Invasion stattgefunden hat.
Um 1940 herum hatten die beiden Brüder genügend Geld erarbeitet, um für die Freilassung ihrer Eltern zu bezahlen, und wieder war das Glück der Familie hold. Rudolf und Bertha verließen Laa, um durch niemand anderes als Adolf Eichmann über die Grenze in das bis dahin neutrale Italien entlassen zu werden. Obwohl die Nazis bereits Juden zusammentrieben und die Vernichtungslager in Betrieb genommen hatten, hatten sie mehr Interesse am Lösegeld als an den Leben von zwei alten Juden. Rudolf und Bertha hatten gerade das Kap der Guten Hoffnung umrundet, als Italien der Achse beitrat. Nur wenige Tage später wäre ihr Schicksal besiegelt gewesen und ihr Leben hätte in Auschwitz geendet.
Die Familie wurde in Adelaide wiedervereint, und alle legten ihre mageren Mittel zusammen. Langsam erarbeiteten sie sich ausreichend Geld, um eine Anzahlung für eine alte blaue Steinvilla in der Melbourne Street in North Adelaide zu leisten. Sie wohnten in einigen Zimmern und vermieteten den Rest, um die Raten für die Hypothek zu bezahlen.
Nachdem der Krieg geendet hatte, eröffneten sie einen Reparaturbetrieb für Elektrokleingeräte in der Magill Road in Norwood zusammen mit dem Sohn des Kantors der örtlichen Synagoge. Sie hatten keine Erfahrung auf diesem Gebiet, waren aber einfallsreich und erfolgreich. Leider griff ihr Partner in die Kasse, und anstatt den alten Kantor durch polizeiliche Ermittlungen zu beschämen, drängten die Brüder darauf, dass er das Unternehmen sofort verließ, ohne, dass er zurückbezahlen musste, was er gestohlen hatte. Die Familie war wieder alleine in ihrem Unternehmen.
Kurz darauf begannen die Brüder, ihre Geschäfte auszuweiten. Sie stellten einen gelernten Elektriker an um kleinere Arbeiten an Hauselektrik auszuführen. Ein neuer Schalter hier, eine Lampenfassung dort. Es waren Kleinarbeiten, aber ich erinnere mich daran, wie stolz er davon erzählt hat. Als die Soldaten vom Krieg zurückkehrten und aus dem Dienst entlassen wurden, mussten Häuser gebaut werden und die Brüder sahen eine Gelegenheit, um ihre Dienste als Elektriker anzubieten. Sie kontaktierten mehrere große Hausbauunternehmen, und dieses Mal war es ein Vorteil und nicht ein Nachteil, dass sie jüdisch waren. Einer der Unternehmensinhaber war ein Urchrist, die vom Glauben her freundlich gegenüber Juden eingestellt waren. Er gab ihnen gerne die Gelegenheit, Angebote zur Verkabelung von Häusern abzugeben. Sie bekamen den Zuschlag, stellten Elektriker ein und erweiterten ihr Geschäft.
Vater, der inzwischen den Vierziger überschritten hatte, wollte heiraten, eine Familie gründen und ein normales Leben in seiner Wahlheimat führen. Dazu schaltete er Anzeigen in der jüdischen Zeitung in Melbourne. Meine Mutter, ebenfalls ein Flüchtling aus Österreich, antwortete und 1948 heirateten sie. Es war eine Hochzeit zweier einsamer Seelen, die wenig gemeinsam hatten, außer dass ihre Leben von vor dem Krieg zerstört worden waren. Mutter stammte aus einer reichen Familie mit Bediensteten, hatte früher in den österreichischen Kirchenadel eingeheiratet, mit Titel, und Vater kam aus einer armen Stadt auf dem Land, wo sie für alles, was sie hatten, hart arbeiten mussten. Sie hatte auch schon zwei Kinder, wobei sie Vater nur von einem erzählte und das ältere bis nach der Hochzeit geheim hielt. Ich wurde 1950 geboren.
1952 hatte die Familie genügend angespart, um einen Kredit aufzunehmen, mit dem sie eine alte Pension auf der Esplanade in Glenelg kauften. Meine Eltern und mein jüngerer Bruder zogen dort ein und verwandelten die Pension in ein Bed & Breakfast. Mutter war zuständig für das Kochen, Putzen und die Angestellten, während Vater mit dem Elektrikerbetrieb beschäftigt war. Da es ganz in der Nähe der Jetty Road war, florierte das Geschäft, da Glenelg zu dieser Zeit sehr stark besucht und im Sommer am Strand kaum ein Platz zu finden war.
Über die Jahre waren beide Unternehmen erfolgreich. Indem er seine Ersparnisse zusammenlegte, kaufte der Adler-Clan mehr Anwesen, unterstützte sich gegenseitig und machte aus dem Elektrikerunternehmen den größten Elektrikerbetrieb in Süd-Australien. „Electro-Help“, wie sich der Betrieb nannte, verkabelte einen großen Teil der neuen Häuser in Salisbury, Elisabeth, expandierte nach Canberra, Alice Springs und für eine Zeit sogar nach Melbourne. Die Brüder waren ein großartiges Team mit gutem Geschäftssinn.
1956 kauften meine Eltern 2000 m2 Land in Beaumont, einem damals nahezu ländlichen Vorort. Vater liebte den Bauernhof nebenan, die Obstplantage auf der Rückseite und die majestätischen Eukalyptusbäumen von denen es in unserer Straße viele gab. Er liebte die Natur, aber durch seine extreme Taubheit war er leider nie in der Lage, den Vogelchor zu genießen, der jeden Tag begrüßte.
Leider starb sein Bruder 1964 in den Folgen eines schweren Herzinfarkts, der vermutlich davon ausgelöst wurde, dass er drei Schachteln Zigaretten am Tag rauchte. Das hat Papa schwer getroffen, sowohl der Verlust seines geliebten Bruders, als auch, dass er trotz seiner Taubheit nun dafür verantwortlich war, die Verträge zu verhandeln und die Angestellten zu leiten, was beides früher sein Bruder übernommen hatte. Er kämpfte sich ein paar Jahre durch und schloss dann das Geschäft. Ich war zu jung, um es zu übernehmen, und er war zu dieser Zeit schon zu alt und zu schwerhörig. Anstatt das Geschäft zu verkaufen, wozu er die Möglichkeit gehabt hätte, rief er seine zwei Vorarbeiter zu sich, einen aus Adelaide und den anderen aus Canberra, und übergab ihnen ihre jeweiligen Filialen mit allen Werkzeugen, Verträgen usw. Er sagte mir, dass er sie als erweiterte Familie betrachtete. Er hatte sie als Lehrlinge angenommen, war dabei als sie ihren Abschluss machten, als sie heirateten und Kinder bekamen, und er wollte, dass sie Erfolg hatten. Er sagte, es sei gut, zu geben, ohne etwas zurück zu erwarten.
Vater war immer sehr großzügig. Er bezahlte Operationen und andere dringende Angelegenheiten für Ex-Mitarbeiter, wohlwissend, dass sie die Schulden nie zurückzahlen würden. Er spendete auch an den „United Israel Appeal“, als Israel um sein Überleben kämpfte, und an zu viele andere wohltätige Organisationen. Er erinnerte mich immer daran, dass, wäre nicht der unbekannte Jude in Ägypten gewesen, der seine Freiheit erkauft hätte, ohne ihn zu kennen, wir nicht im „Glücklichen Land“ sein würden.
Leo liebte Australien leidenschaftlich. Er liebte die Natur, den rauen Charakter und die Freiheit. Er vermittelte mir ein Gefühl von Gerechtigkeit, Pflicht und für die Freiheiten zu kämpfen, die wir als selbstverständlich ansehen. Er sagte: „Setz dich für die Unterdrückten ein, erlaube nicht, dass Rechte weggenommen werden, und hilf anderen, auch wenn du ihre Ansichten nicht teilst oder sie nicht magst.“ Er wies darauf hin, dass die Nazis mit dem, was sie taten, durchgekommen waren, weil der Durchschnittsbürger nichts tat, um sie aufzuhalten.
Wie ich sagte, liebte und schätzte Papa die Freiheiten in Australien und akzeptierte keinerlei Unterdrückung. Ich war mit ihm und seinem Bruder unterwegs, als sie um 1960 herum den Anzac Highway entlangfuhren und von einem Motorradpolizisten angehalten wurden, weil sie angeblich an einer Kreuzung kein Stop-Handsignal gemacht hatten.
Zu dieser Zeit waren Autos gerade erst mit Bremslichtern und Blinklichtern ausgestattet worden und Handsignale waren nicht mehr erforderlich, wenn das Fahrzeug mit der neuen Technologie ausgestattet war. Mein Onkel, der der Fahrer war, erklärte das dem Polizisten, der sarkastisch fragte, „Woher wollen sie wissen, dass die Lampen funktioniert haben?“ Mein Onkel, der das Fahrzeug am Tag zuvor inspizieren lassen hatte, wusste, dass sie funktionierten und erklärte das auch. Der Polizist weigerte sich, das zu akzeptieren, und sagte, er würde sie trotzdem anzeigen.
Daraufhin bestieg er sein Motorrad und fuhr vom Randstreifen los, ohne ein Handsignal zu geben, was illegal war. Auf den Hinweis meines Vaters hupte mein Onkel und zog den Polizisten aus dem Verkehr. Vater befragte den Polizisten zu den Vorschriften bezüglich des Randstreifens und stellte fest, dass das Motorrad nicht mit Blinklichtern ausgestattet war. Er notierte die Dienstnummer des Polizisten und sagte, dass er ihn deswegen anzeigen würde. Sie fuhren dann direkt zum Polizeihauptquartier, bestanden darauf, mit einem Kommissar zu sprechen, und berichteten von dem Vorfall. Die Anzeige gegen den Bruder wurde fallen gelassen und der Streifenpolizist erhielt eine Rüge. Ich fragte Papa, wieso er tat, was er getan hatte. Er antwortete: „Sohn, in diesem Land haben wir Rechte, in Nazi-Österreich mussten wir buckeln, aber in Australien müssen wir das nicht und wir werden es auch nicht.“
Mein Vater nahm sich gerne zurück als ich in das Familienunternehmen eintrat und wurde mein Berater. Er hatte mich gut unterrichtet und unserer Familie ging es sehr gut, aber das ist mehr meine Geschichte als seine.
Papa war kein besonders religiöser Jude, aber er war sehr stolz auf unsere Herkunft. Er erklärte mir, dass wir vom Stamm Benjamin kommen, dass wir direkt verwandt waren mit Sigmund Freuds Partner Alfred Adler, und dass wir auch ein schwarzes Schaf in der Familie hatten, das einen Anschlag auf ein Mitglied der österreichischen Regierung verübt hatte. Sein Vater Victor Adler hatte die erste sozialistische Zeitung Wiens gegründet (sie existiert noch heute). Er war stolz darauf, dass, obwohl die Familie drei Mal zu seinen Lebzeiten alles verloren hatte, sie sich behauptet hatte.
Er war stolz auf seinen Großvater Samuel, der sehr gut mit dem örtlichen katholischen Priester befreundet war, und dass sein Freund in seinen Predigten oft sagte: „Wenn ihr nur so gut wäret wie mein jüdischer Freund Samuel.“ Er war auch stolz darauf, dass sein Vater Rudolf ein großzügiger Mann war, der den Armen von Laa unabhängig von ihrem Glauben Essen und Geld gegeben hatte. Als ich Gretl in Laa besuchte, kurz bevor sie starb, hat sie mir seine Großzügigkeit bestätigt.
Papa hat mir eine Liebe für das Leben und dieses Land hinterlassen. Er hat mir aber auch den Gedanken hinterlassen, dass ein Jude in dieser Welt nie wirklich sicher sein kann. Die Geschichte hatte das über Jahrhunderte bestätigt. Seine eigene Familie hatte für Österreich gekämpft, er hatte einen Onkel an der Russischen Front verloren, sein Vater war ein dekorierter Ex-Soldat, und dennoch wurden sie wie Dreck behandelt, als der Antisemitismus sein Haupt erhob. Er sagte: „Liebe dieses Land, aber sei darauf vorbereitet, zu flüchten, wenn du musst. Sei darauf vorbereitet, alles zurückzulassen, außer die, die du liebst, und sei anpassungsfähig. Sei nicht zu stolz, um jede Arbeit anzunehmen oder bescheiden zu leben. Eigne dir so viele Fähigkeiten an, wie möglich, damit du überleben kannst, wenn du flüchten musst oder sich die wirtschaftlichen Umstände ändern.“ Ich habe mir diese Lehren zu Herzen genommen und sie haben große Bereiche meines Lebens beeinflusst.
Leider litt er in seinen späteren Jahren an Demenz und meine Frau, Cilla, und ich pflegten ihn in unserem Haus, wie es in Europa üblich ist, bis er am 11. Januar 1987 starb. Seine letzten Jahre mit uns waren extrem schwierig und haben meine Erinnerungen an ihn verdunkelt. Er hat mir dennoch ein Erbe an Wissen, moralischer Stärke, Pflichtgefühl und eine große Liebe zu Australien hinterlassen.
Veröffentlicht in: „Our Fathers“, editiert von Judy McPherson Kent & Andrew Collett, Verlag: Wakefield Press , Adelaide South Australia, 2014