NS-Euthanasie

NS Euthanasie – ein Überblick

Das Thema NS Euthanasie ist nur indirekt mit der jüdischen Gemeinde von Laa an der Thaya verknüpft. Soweit mir bekannt ist, war kein Mitglied der jüdischen Gemeinde der Stadt Laa in einer Einrichtung für psychisch Kranke und hat deshalb den Tod gefunden. Die Themen sind jedoch insofern verbunden, dass die Opfer der NS Euthanasie und die jüdischen Opfer der verschiedenen Konzentrationslager den selben Tod in einer Gaskammer fanden, sofern sie nicht durch Hunger oder andere zugefügte Leiden ihr Leben verloren.

Erst spät, nämlich während des Pandemiesommers 2020, habe ich mich mit dem Thema NS-Euthanasie auseinandergesetzt. Auch hier finden sich Parallelen: So wie vor bald 30 Jahren, als ich die Recherche über die jüdischen Laaer begann, sind die Opfer der NS Euthanasie bis heute dem öffentlichen Erinnern entzogen und vom Vergessenwerden bedroht.

In jeder 7. oder 8. Familie im deutschsprachigen Raum gibt es ein Euthanasie-Opfer in der nahen Verwandtschaft. Oft wird darüber nicht gesprochen, in vielen Familien werden die Opfer aus den eigenen Reihen schon vergessen oder totgeschwiegen worden sein. Doch nicht nur Familien mit behinderten Verwandten waren im Fadenkreuz der Gesundheitsbehörden des NS-Regimes. Zu viele haben den damals erzeugten Makel, einen „lebensunwerten“ Verwandten in der Familie zu haben oder gehabt zu haben, wohl nie ganz abgestreift. Man muss sich aber klar werden, wie schnell das ging mit einer „Behinderung“, die den Menschen „lebensunwert“ machte. Es konnte sich um körperliche Mängel, Auffälligkeiten in der Schule oder auch Depression handeln, die man heute ja sogar eine „Volkskrankheit“ nennt, um auf die Häufigkeit ihres Auftretens hinzuweisen. Die Liste könnte noch lange fortgesetzt werden. Es war also ziemlich leicht, in den Blickpunkt der Nazis zu gelangen. Es sind selbst Fälle in der Literatur bekannt, bei denen auch unliebsam gewordene Ehepartner in eine „Irrenanstalt“ abgeschoben wurden, dort jahrelang verblieben, bis auch sie schließlich in Hartheim, Grafeneck, Brandenburg a. d. Havel, Bernburg oder Hadamar durch Gas ermordet wurden. Die vielen Häuser, wo Menschen gezielt durch Hunger oder Überdosierung von Medikamenten getötet wurden, können hier nicht erwähnt werden. Alleine von Jänner 1940 bis August 1941 wurden 70.000 Menschen im Rahmen der sogenannten „Aktion T4“ ermordet. Die Unterlagen wurden systematisch von den Nazis vernichtet. Man täuschte zuerst die Angehörigen über Todesort und -zeit und versuchte schließlich im großen Stil Akten zu vernichten, was auch überwiegend erfolgreich war.

Erwähnt werden soll auch, dass die Nazis ihre Opfer nicht nur in Heimen suchten. Überall wurden auch Menschen abgeholt, die in der Familie lebten oder Eltern unter Druck gesetzt, ihre Kinder oder andere Verwandte in Heime abzugeben, von denen aus die Nazis leichtere Handhabe hatten. Wäre der Krieg nicht zu Ende gegangen, hätten die Nazis auch in Altersheimen und unter der alten Bevölkerung weiter gewütet, denn wer nicht arbeitete, war automatisch „unwertes Leben“.

Inzwischen haben Angehörige die Möglichkeit, im Berliner Bundesarchiv, dem Niederösterreichischen Landesarchiv und sicher auch noch in anderen Archiven eventuell vorliegende Akten einzusehen oder sich diese in Kopie zuschicken zu lassen. Doch bis heute ist es keine Selbstverständlichkeit, dass den Opfern auch mit ihren Namen gedacht wird. Erwachsene Opfer tauchen zum Beispiel in der Liste der Opfer des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstands gar nicht auf. Dort werden ausschließlich die Opfer vom Spiegelgrund gelistet, ohne jedoch mehr als Name, Geburts- und Sterbedatum zu nennen. Eine örtliche Zuordnung wird dadurch unmöglich gemacht.
Bei Nachfrage heißt es, eine weniger selektive Auswahl der Opfer aufzunehmen, sei datenschutzrechtlich bedenklich. Der Datenschutz ist längst verjährt, stellt aber eben immer noch eine gute Ausrede dar. Schlimmer ist das Argument, das sei den Familien der Opfer nicht zuzumuten. Was genau ist nun nicht zuzumuten? Ist es eine Schande, ein NS Opfer in der Familie zu haben? Ist es der Gesellschaft nicht zuzumuten? ALS VERWANDTE EINES NS EUTHANASIEOPFERS VERWEHRE ICH MICH DAGEGEN!

Die Opfer der NS Euthanasie sind die letzten totgeschwiegenen Opfer der NS-Herrschaft. Vielleicht fragt ein Leser dieser Webseite doch mal in seiner Familie nach und erlebt eine Überraschung. Man bedenke, den Opfern wurden oft unzählige Lebensjahre geraubt, sie wurden auf grausamste Weise ermordet und ihren Angehörigen wurde nahegelegt, sie sollen doch lieber schweigen und vergessen, weil auch sie sonst in Verdacht geraten könnten. Das sind keine Einzelschicksale. „Insgesamt reichen die Schätzungen bis zu 200.000 Opfer der NS-Euthanasie.“ (siehe Webseite T4)

Im Rahmen dieser Webseite ist es mir möglich, eine Liste der Kinder und Jugendlichen vorzustellen, die in Hartheim und Niedernhart ermordet wurden. Die drei Bücher von Waltraud Häupl (hier verwendet: Spuren zu den ermordeten Kindern und Jugendlichen in Hartheim und Niedernhart. Gedenkdokumentation für die Opfer der NS-Euthanasie. Böhlau 2012) sind die einzigen mir bekannten Publikationen, die Auskunft über die Opfer der NS-Euthanasie unter Nennung von Namen, Geburts- und Sterbeort und Datum geben und, sofern möglich, auch noch einzelne Angaben zu den Kindern. Sie finden auf dieser Webseite eine nach Orten gegliederte Liste, die zeigen soll, aus wie vielen niederösterreichischen Orten Kinder und Jugendliche nach Hartheim und Niedernhart gebracht wurden und dort Opfer des grausamen Regimes wurden, das gerade nicht vor den Schwächsten Halt machte.

Es ist mir nur möglich, eines einzigen Erwachsenen zu gedenken, nämlich meiner Großtante Rosa. Ihr Schicksal steht für die unzähligen erwachsenen Opfer, die heute namentlich unbekannt sind, weil der Zeitgeist es bis heute so will.

Es ist höchste Zeit, aufzustehen und zu sagen, dass es Schluss sein muss mit der Verdrängung. Denn sie gibt den Nazis recht. Diese Menschen hatten ein Recht auf Leben, das ihnen verwehrt wurde und das haben ALLE Opfer des NS Regimes gemeinsam.

Es ist eine Schande, dass diese Opfer vergessen werden sollen. Wie kann man sich vormachen, dass es besser sei, sie zu vergessen oder auch, dass sie in Frieden ruhen – jene, die nie ein Grab bekamen, jene, deren Asche in der Donau und andernorts verstreut wurde und deren Familien sie schon vergessen haben?