Interview

Interviewpartnerin: Maria S. (geb. 1915)


16. 11. 1995

Also die Dr. Eisinger sind noch rechtzeitig nach Amerika gekommen und lebten in Portland und haben dann im 48’er Jahr irgendwie meine Adresse wieder bekommen. Wir haben dann korrespondiert und die sind im 59’er Jahr nach Wien gekommen. Von Wien nach Brüssel, nach England und wieder zurück nach Portland haben sie eine Tour gemacht. Im 62’er Jahr ist er verstorben. Wir waren dann mit seiner Frau, Trude Eisinger, weiter in Verbindung aber plötzlich war’s aus und wir haben nichts weiter von ihr gehört. Wahrscheinlich lebt sich auch nicht mehr.

Wie war der Vorname von Dr. Eisinger?
Paul, Dr. Paul Eisinger. Und sie hat Trude Eisinger geheißen. Ihre Leute wurden alle vergast und seine Verwandten zum Teil konnten sich retten. Der eine Bruder war dann Arzt in London und die Eisingers sind nach Portland und haben dort dann wieder Fuß gefaßt und haben den Beruf natürlich wechseln müssen. Buchhalter war er und sie Buchbinderin und es ging ihnen so ziemlich gut.

Wissen Sie welcher Jahrgang die beiden waren?
Er war zum 70. Geburtstag in Wien, da war ein Maturatreffen – das war im 59’er Jahr.

Hat er in Laa maturiert?
Nein, in Wien. Er war nur in Laa bei der Schnapsfabrik Jokel beschäftigt. Er hat auch ein Haus in Laa besessen, das war dann bombenbeschädigt gewesen.

Kinder haben sie nie gehabt?
Nein, keine.

Wissen Sie ihren Mädchennamen?
Nein, leider, das weiß ich nicht.

Wann haben sie Laa verlassen?
Die müssen von Laa weggegangen sein um noch rechtzeitig nach Amerika zu kommen. Ich vermute ‘37 oder ‘37 oder ‘38.

Seit wann sind sie in Laa gewesen?
Das weiß ich auch nicht.

Vorher haben sie in Wien gewohnt?
Ja, in Wien, in Währing, in der Weimarerstraße. – – – Sie haben auch versucht die ganzen Sachen nach Portland zu bekommen, aber das ist alles unterwegs verschwunden – das ganze Hab und Gut.

Haben sie sonst noch in Laa Verwandte gehabt?
Niemand – außer den Jokel’s. Sonst wohl nur in Wien.

Hat Herr Dr. Eisinger auch in Wien studiert?
Vermutlich ja. Er ist als Doktor nach Laa gekommen.

Sind sie in Laa in die Synagoge gegangen?
Ich wußte gar nicht, daß da eine war. Ich glaube auch eher kaum.

Haben sie koscher gekocht?
Glaube ich auch nicht.

Könnten sie jeden der beiden charakterisieren?
Beide reizende Menschen, ganz reizende Menschen. Ich werde Ihnen dann einen Brief lesen lassen, schon da sieht man was für nette Leute. Weder einen Haß, nur auf einen in Laa, den hätt’ er gerne noch getroffen und zu dem ist es nicht mehr gekommen. Was da eigentlich vorgefallen ist weiß ich nicht. Aber nicht so wie andere, die sehr schimpfen. Sicherlich, sie haben Fürchterliches mitgemacht. Ich kann’s verstehen. Aber die beiden gar nicht. Das waren zauberhafte Menschen.

Waren sie bei ihrer Reise auch in Laa oder nur in Wien?
Nein, nicht mehr. Sie sind ‘59 das erste Mal wieder nach Österreich gekommen und waren so circa 10 Tage in Wien und von Wien sind sie dann weitergereist nach England und Belgien. Nach Laa hinauszufahren, dazu ist es gar nicht gekommen, weil sie viel zu kurz in Wien waren.

Wissen Sie noch etwas über andere Verwandte der Familie?
Es gab da eine Irene Eisinger, die war Sängerin und Schauspielerin. Die konnte aber auch rechtzeitig flüchten und war in London. Das ist die einzige von der ich etwas gewußt habe. —- ‘61 hat uns die Trude geschrieben „um halb 8 Uhr früh schloß er seine lieben Augen für immer“. Das war im April, das genaue Datum schreibt sie nicht. —- Im Haus der Eisinger’s hat unterhalb auch ein jüdisches Ehepaar gelebt, aber ich weiß nicht mehr wie die geheißen haben – Dr. Adolf und ein Nachname an den ich mich nicht erinnern kann.

Hatte dieses Ehepaar Kinder?
Nein, sie waren auch kinderlos.

Waren sie älter oder jünger als die Eisingers?
Ich würde sagen ziemlich gleich alt. Aber was der gearbeitet hat weiß ich auch nicht oder sonst irgend etwas.

Mit wem war Dr. Eisinger befreundet?
Mit Dr. Fanta, der Richter in Laa war und mit dem Herrn Riftshecz. Über die Frau Riftshecz haben sie mir geschrieben, daß sie geschieden war und sie dürfte wohl heute auch nicht mehr leben. Die Frau Riftshecz haben die Eisingers getroffen als sie in Wien waren und auch den Dr. Fanta. Dr. Fanta lebt nicht mehr. Von der Frau Riftshecz weiß ich das nicht bestimmt, denn die kannte ich nur vom Hörensagen.

Das einzige mir bekannte Foto von Ernst Abeles – sein Schicksal ist weiterhin unbekannt

Was wissen Sie über das Verbleiben von Herrn Abeles?
Soweit ich weiß ist er nach London, aber wir haben nie etwas von ihm gehört. Er war gehbehindert, der Herr Abeles. Aber es hat bei uns auch Herr Dr. Salzer gewohnt. Der war in Kammersdorf zu Hause. Er dürfte auch umgekommen sein, denn der hätte sich bestimmt bei uns gemeldet, denn wir haben ihn bis zuletzt bei uns gelassen. Da ist damals der Eisen-Scheiner an meinen Vater herangetreten und hat gesagt wir sollen ihn doch kündigen, denn er hat ja bei uns gewohnt. Da hat mein Vater gesagt, das kommt überhaupt nicht in Frage, der bleibt so lange bei uns bis er von selber weggehen muß. So war’s auch und wir haben dann nie wieder etwas von ihm gehört. Ein reizender Jude, ganz hochanständig und er hat damals auch meinen Eltern den Rat gegeben sie sollen rechtzeitig das Haus uns überschreiben damit wir einmal keine Erbschaftssteuer zahlen müssen, mit einer Einschränkung, daß wir erst dann darüber verfügen dürfen wenn beide Eltern nicht mehr leben. Das war sehr klug. Das haben wir dem Herrn Dr. Salzer zu verdanken.

War er Rechtsanwalt?
Er war Konzipient bei einem Rechtsanwalt in Laa.

Wissen Sie seinen Vornamen?
Nein, das weiß ich nicht mehr.

Wie viele Jahre hat er bei Ihnen gewohnt?
Das weiß ich nicht genau, aber längere Zeit. Von der Zeit an als er nach Laa gekommen ist bis er weg mußte. Aber von wann an, das weiß ich leider nicht. Er war ein jüngerer Mann als er bei uns war.

Er hatte in Kammersdorf noch Verwandte?
Dort war seine Mutter.

War er ledig?
Ja, er war ledig. —- Auch ein hochanständiger Mensch.

Hat er koscher gegessen?
Nein, ganz normal. Jeder der bei uns gewohnt hat, hat außerhalb gegessen. Sie haben höchstens ein Frühstück bekommen.

Hat er bei Ihnen im Haus gegessen?
Nein, wo anders.

In die Synagoge ist er gegangen?
Soweit ich weiß nie. Aber ich bin auch ganz überrascht, daß es eine gegeben hat.
Waren die jüdischen Leute, die Sie gekannt haben, bei Vereinen in Laa?
Glaube ich nicht. Sie sind ganz einfach, glaube ich, nicht gegangen.

Hat Herr Abeles vor oder nach Herrn Salzer bei Ihnen gewohnt?
Zur gleichen Zeit. Er war auch bei Firma Jokel angestellt – im Büro.

Hatte Laa im Vergleich zu anderen Städten einen hohen, niedrigen oder durchschnittlichen Prozentsatz an jüdischer Bevölkerung?
Wenig.

Wie würden Sie das Verhältnis zwischen Juden und Christen charakterisieren?
Überhaupt keine Spannungen, überhaupt nicht. Soweit mir bekannt ist überhaupt keine Spannungen.

Was wissen Sie über das Grundstück auf welchem heute die Firma Brandtner steht und welches früher den Flurnamen „Auf der Judenweide“ hatte?
Dort war ein großer Turnplatz. Der Turnverein war immer dort. Nicht die Übungen sondern die Vorführungen vom Turnverein. Ich war beim deutschen Turnverein Vorturnerin. Das war ein großer Platz.

Können Sie bestätigen, daß zu einer gewissen Zeit dieser Sportplatz für Juden nicht zugänglich war?
Das ist mir überhaupt nicht bekannt. Ich kann mich überhaupt nicht erinnern, daß irgend jemand in Laa etwas gegen die Juden gehabt hätte. Weil die waren alle so anständig und nett. Könnt’ ich nichts negatives gegen die Juden sagen.

Hat es vor ‘38 irgendwelche Annäherungsversuche zwischen Pfarrer und Rabbiner gegeben? Wie war die Einstellung des Pfarrers gegenüber den jüdischen Bürgern?
Von gemeinsamen Aktionen ist mir nichts bekannt. Zur Einstellung des Pfarrers kann ich keine Stellung nehmen, weiß ich nicht. —- Mir ist auch eigentlich gar nichts bekannt, daß eine Mißstimmung in Laa gewesen wäre oder eine Aufheizung, daß man die Juden nicht mag. Das ist mir total unbekannt.

Glauben Sie, daß die „Mißstimmung“ gegen die jüdischen Bürger im Jahre ‘38 über Nacht gekommen ist?
Naja, da kann vielleicht schon was wahres dran sein. Aber ich weiß nur uns ging es wie wir nach Laa kamen sehr schlecht. Und wer uns geholfen hat waren die Juden. Da war der alte Drill, der hat ein Pferdegeschäft gehabt. Die Laaer haben gesagt, wir Zugereisten sollen dort hin zurückgehen wo wir hergekommen sind. Wir waren nämlich aus Mähren und im 19-er Jahr hat der Bruder von meinem Vater ihn so lange sekkiert er soll doch mitkommen nach Österreich. Wir waren nämlich 3 Kinder und 2 müßten die tschechische Schule besuchen und eines darf nur die deutsche Schule besuchen. Und dann sind wir dann gemeinsam weg. Der Onkel ist nach Werfen bei Salzburg und wir sind nach Lambach und in Lambach hat meine Mutter so wahnsinnig Heimweh gehabt, daß der Vater um Versetzung angesucht hat. Er hat sich aussuchen können Mödling, Spitz an der Donau und Laa an der Thaya. Nachdem Laa an der Grenze war hat er sich für Laa entschlossen obwohl er keine Wohnung gehabt hat. In Lambach hat der Hausherr zu meiner Mutter gesagt, bleiben sie da bis der Vater nach Laa fährt. Meine Mutter hat aber gesagt, wenn wir übersiedeln, dann übersiedeln wir alle zusammen. Im Zug erzählte dann erst der Vater meiner Mutter, daß wir kein Heim haben. Wir haben gegenüber dem Friedhof in einem großen Raum zu Fünft gelebt. Die Möbel waren im Sezierzimmer am Friedhof und so waren meine Eltern gezwungen zu bauen. Und da haben uns die alten Drills mit Geld ausgeholfen. Das waren die Juden und die anderen haben gesagt wir soll dort hingehen von wo wir gekommen sind – das waren die „lieben“ Laaer.

Ich habe gehört, daß es in Laa auch mehrere Reibaktionen gegeben hat.
Ja das stimmt. Das hat auch der Dr. Salzer machen müssen, der bei uns gewohnt hat. Die Dr. Eisinger waren schon weg und zu sonst haben wir ja zu niemandem näher Kontakt gehabt. Auch der Abeles war schon rechtzeitig weg.

War das 1 Mal oder öfter?
Das war öfter. Er ist dann ganz verstört nach Hause gekommen und ist bei uns um den Tisch immer herumgegangen. Er hat mir schrecklich leid getan.
—- Das Essen hat er sich immer mitgenommen von Kammersdorf von seiner Mutter, das hat er sich dann gewärmt. Er war ein armer Teufel.

Hat Herr Salzer Laa frei verlassen oder wurde er abgeholt?
Er ist frei zurück nach Kammersdorf und von dort aus wird er natürlich eingesammelt worden sein. Der hätt’ sich bestimmt bei uns gemeldet, so wie der Dr. Eisinger, und hätte gesagt er lebt noch.

Wie lange etwa sind jüdische Betriebe leergestanden bis sie unter neuen Besitzern wieder öffneten?
Wie die Nazis gekommen sind die Geschäfte natürlich gleich leer gewesen, doch wie lange später sie übernommen worden sind, das weiß ich nicht.

Was haben Sie gedacht, wo die jüdischen Laaer hinkommen?
Die Stimmung war ziemlich gedrückt. Ich war damals bei der Post und da kamen die Soldaten und da war einer darunter, das war ein Vikar aus Deutschland der hat uns gewarnt und gesagt wir werden noch sehen was wir unter’m Hitler noch alles mitmachen werden. Wir waren ja Fremde und der hat sich das getraut. Der hat sofort gesagt was er in Deutschland erlebt hat und was auf uns jetzt zukommt und er hat Recht gehabt. —- Man hat schon gewußt, daß die Juden verschickt werden, aber näheres hat man erst viel später erfahren. Die Wahrheit, die richtige Wahrheit hat man dann erst viel später erfahren. — Wir wußten es überhaupt nicht, da hat man erst viel später die Wahrheit erfahren.

Wann haben Sie persönlich zum ersten Mal von Konzentrationslagern erfahren?
Alles nach dem Krieg.

Ist Ihnen bekannt, daß es in Mistelbach und Siebenhirten jeweils ein KZ gegeben hat?
Nein, das ist mir ganz neu.

Ist es Ihnen bekannt, daß im Laaer Pfarrhof 1943 polnische und ukrainische Juden eingesperrt waren?
Nein, gar nicht.

Wie viele jüdischen Bürger hat es nach Ihrer Schätzung 1938 in Laa gegeben?
Vielleicht waren es 20, so circa. Es waren nicht viele: 2 Familien Drill, die Jokel-Hauser, der Abeles, der Salzer, der Dr. Adolf dessen Nachnamen ich nicht weiß und die Dr. Eisingers.

Waren in Ihrer Schulklasse jüdische Kinder?
Da war eine Schulkollegin, die hat Steiner geheißen und die hat jemanden von der Familie Badja, die das Schuhgeschäft in Tschechien haben, geheiratet. Das habe ich jetzt erst erfahren. Aber ob die noch lebt weiß ich nicht.

Hat sie in Laa gewohnt?
Nein, in Zwingendorf oder in Hanfthal. Das kann ich heute nicht mehr genau sagen.

Hat es in den Dörfern weitere jüdische Familien gegeben, die Sie kannten?
Nein, in den Dörfern in unserer Umgebung weiß ich sonst niemanden. Außer die Mutter vom Dr. Salzer in Kammersdorf, aber das ist ja auch schon wieder etwas weiter von Laa weg.