Rede: Dr. Genee

Kurzer Überblick über die Geschichte der Juden in heutigen Niederösterreich

Von Dr. Pierre Genee

Sehr geehrte Damen und Herren!

Anläßlich der Enthüllung eines Denkmals zur Erinnerung der ermordeten und vertriebenen Juden in Laa an der Thaya wurde mir die Ehre zuteil, einen kurzen historischen Überblick über Leben und Schicksal der Juden in Niederösterreich vortragen zu dürfen:

Es ist durchaus anzunehmen, dass sich schon in der Antike – im Gefolge der römischen Legionen – Juden auf dem Gebiete des heutigen Österreichs aufgehalten haben, wenn auch keine direkten Zeugnisse – seien es historische Berichte oder epigraphische bzw. archäologische Funde – bekannt sind.

Im hohen Mittelalter kamen jüdische Fernhändler in den Donau- und Alpenraum. Sie bildeten – nach der Islamisierung der östlichen und südlichen Mittelmeergebiete – quasi die einzige Verbindung zwischen Okzident und Orient. Es entstanden zunächst Handelsstützpunkte, aus denen im Laufe der Zeit auch jüdische Siedlungen und Gemeinden hervorgehen sollten.

Das erste Zeugnis jüdischer Präsenz auf österreichischem Boden findet sich in der sogenannten Raffelstättener Zollordnung aus dem Jahre 906. Eine fest siedelnde Bevölkerung wird es damals noch nicht gegeben haben, Voraussetzung dazu boten erst die Judendörfer, die auf das elfte und zwölfte Jahrhundert zurückgehen: Es handelte sich um vormärktische Handelsniederlassungen bzw. Stützpunkte jüdischer Fernhändler, meist in unmittelbarer
Nähe alter Kirchen- und Herrschaftssitze. Auf Grund der geographischen Anordnung dieser „Judendörfer“ lassen sich die wichtigsten Handelswege von Italien über die Alpenpässe zur Donau, vom Rheinland in die ungarische Tiefebene und den Balkan rekonstruieren. Zahlreiche Orte oder Städte, die noch heute das Wort „Juden“ beinhalten, wie Judendorf, Judenau, Judenburg, Judenstetten, dürften ihre Entstehung solchen Handelsniederlassungen verdanken.

Mit dem Aufschwung des Städtewesens im zwölften und dreizehnten Jahrhundert trat eine wesentliche Änderung der jüdischen Siedlungstätigkeit ein: Juden hielten sich nicht mehr in separaten Judendörfern auf, sondern ließen sich in Zentren von Städten und Märkten nieder, mitunter in Form von eigens abgegrenzten Wohnbezirken, in deren Mitte ein Platz oder die sogenannte Judengasse lag, und die eine bemerkenswerte Infrastruktur aufwiesen: Synagoge und Tauchbad, eigenen Schlachthof – größere Gemeinden besaßen auch ein „Judenspital“, das vor allem als Versorgungsheim diente. Außerhalb der Stadtmauern wurde oft ein eigener Friedhof angelegt, wo auch die Toten umliegender Gemeinden beerdigt wurden.

Am dichtesten besiedelt waren im heutigen Österreich schon aus geopolitischen Gründen das Land unter der Enns, die Steiermark und das heutige Kärnten. Bedeutende Judenansiedlungen befanden sich in Bruck an der Leitha, Hainburg, Marchegg, Klosterneuburg, Korneuburg, Tulln, Krems, Langenlois, Horn, Zwettl, Eggenburg, ferner in Mödling, Traiskirchen, Wr. Neustadt, Neunkirchen und vor allem Wien.

Trotz prekärer rechtlicher Situation, diskriminierender Bestimmungen seitens des Klerus, wiederholter Judenverfolgungen – meist als Folge von Hostienschändungsbeschuldigungen – hatte das mittelalterliche Judentum in den Ländern ob und unter der Enns bis zu Beginn des 15. Jahrhundert Bestand. Diese Periode fand im Jahre 1420 ein radikales Ende. Unter dem Vorwand einer Hostienschändungsbeschuldigung ließ Herzog Albrecht V. alle Juden in seinem Herrschaftsgebiet verhaften und ihr gesamtes Vermögen beschlagnahmen; viele wurden oft nur mit dem, was sie am Leibe trugen, mittellos und ohne Wegzehrung, vertrieben; ein Teil gelangte auf kleinen ruderlosen Schiffen, donauabwärtstreibend, wie durch ein Wunder bis nach Ungarn, wo sie barmherzige Aufnahme fanden. Die wohlhabenderen Juden blieben eingekerkert, um sie unter Morddrohung und Folter zur Taufe zu zwingen und vermeintliche Verstecke ihrer Schätze preiszugeben. Einige starben unter der Folter, viele wählten den Freitod. Zuletzt wurden mehr als 200 Personen vor den Toren Wiens auf dem Scheiterhaufen verbrannt.

Ausgenommen von dieser Maßnahme waren die jüdischen Gemeinden in Wiener Neustadt und Neunkirchen, die damals politisch zur Steiermark gehörten. Im Jahre 1496 kam es dann auch unter der Regentschaft Kaiser Maximilians I. zu einer generellen Ausweisung der Juden aus der Steiermark und dem landesfürstlichen Teil Kärntens.

In der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts durften nur einzelne Personen oder Familien, auf Grund persönlich ausgestellter Privilegien, Aufenthalt in Wien nehmen. Erst Ende des 16. Jahrhunderts bildete sich in Wien allmählich wieder ein jüdisches Gemeinwesen.

Das 17. Jahrhundert brachte eine deutliche Wende; der Dreißigjährige Krieg mit seinen ungeheuren Kapitalzerstörungen und dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des heimischen Handelsstandes wirkte sich nicht ungünstig auf Situation der Juden aus; auf dem wirtschaftlichen Trümmerfeld dieses langen Krieges konnte jüdischer Klein- und Großhandel wieder Fuß fassen. In Wien wurde den Juden ein eigenes Wohngebiet (Ghetto) zugewiesen, auf dem flachen Land bildeten sich zahlreiche Ansiedlungen, oft in Nachbarschaft mittelalterlicher Judenansiedlungen.

Auf Grund der Akten des Hofkammerarchivs lebten bis zu 479 Familien an 65 verschiedenen Orten im Lande unter der Enns. Größere Gemeinden bildeten sich in Achau, Bockfließ, Ebenfurt, Feldsberg, Grafenwörth, Langenlois, Marchegg, Oberwaltersdorf, Weitersfeld, usf; in anderen Orten waren oft nur 1 bis 2 Familien angesiedelt.

In den Jahren 1669 bis 1671 wurden sämtliche Juden aus Wien und Niederösterreich ausgewiesen; ausschlaggebend für diese Entscheidung Kaiser Leopolds I. war die anhaltende Missgunst des Bürgertums, insbesondere der Kaufleute und Gewerbetreibenden, wesentlich war auch die Einflussnahme des Klerus in der Person des Bischofs Kollonitsch.

Die Ausweisung gestaltete sich nicht so grausam wie in den Jahren 1420/21; die Betroffenen konnten einen Teil ihrer Habe mitnehmen – viele gingen nach Böhmen und Mähren, einige fanden in deutschen Landen Aufnahme (Fürth, Mark Brandenburg), wieder andere gelangten über Umwege nach Westungarn.

Bis Mitte des 19. Jhdts. war den Juden der dauernde Aufenthalt im heutigen Niederösterreich verwehrt, nur in der Residenzstadt Wien durften sich einzelne privilegierte Familien aufhalten; die Bildung einer Gemeinde blieb weiterhin untersagt. Das 1782 von Kaiser Josef II. erlassene Toleranzpatent hielt nach wie vor an diesen Bestimmungen fest.

Das Jahr 1848 setzte einen wesentlichen Emanzipationsprozess in Gang, aber erst das 1867 von Kaiser Franz Josef I. erlassene Staatsgrundgesetz garantierte allen Bürgern beider Reichshälften die volle Glaubens- und Religionsfreiheit. Damit begann auch für die Juden in Österreich eine neue Ära – unwiderruflich traten sie in die bürgerliche Welt der liberalen Epoche ein.

Niederösterreich, das als wirtschaftliches Umfeld der Reichshauptstadt größte Bedeutung hatte, war Anziehungspunkt für zahlreiche Judenfamilien, die sich in verschiedenen Städten, aber auch kleinen Ortschaften ansiedelten. Innerhalb eines halben Jahrhunderts konstituierten sich insgesamt 15 autonome Kultusgemeinden, die auch für die Betreuung der umliegenden Gemeinden und Gerichtsbezirke zuständig waren.

Die mit 2400 Mitgliedern größte Kultusgemeinde hatte ihren Sitz in Baden bei Wien, gefolgt St. Pölten, Mödling und Wiener Neustadt – weiters waren Kultusgemeinden in Klosterneuburg, Mistelbach, Gänserndorf, Oberhollabrunn, Waidhofen an der Thaya, Horn, Amstetten, Krems, Stockerau und Großenzersdorf etabliert. Laut Volkszählung vom Jahre 1923 lebten in Niederösterreich etwa 10.000 Personen jüdischen Glaubens.

In Laa an der Thaya, wo wir uns heute befinden, ist die Präsenz von Juden bereits 1277 belegt, 1294 und 1337 wird von Judenverfolgungen berichtet.

Im 17. Jhdt. ist die Anwesenheit von Juden in Laa an der Thaya nicht nachweisbar. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jhdts. zogen wieder Juden nach Laa und bildeten daselbst eine kleine Gemeinde. Religiös mitbetreut wurde diese von der 1890 gegründeten Kultusgemeinde Mistelbach. Schon um die Jahrhundertwende war ein Betraum im ersten Stock des Hauses Ecke Burgplatz-Kirchenplatz eingerichtet worden; die Seelsorge versahen von Zeit zu Zeit Rabbiner aus anderen Gemeinden. Die Verstorbenen fanden ihre letzte Ruhestätte meist am jüdischen Friedhof in Mistelbach. Vor 1938 lebten in Laa 33 jüdische Familien.

Das Haus am Burgplatz steht heute noch, die Außenfassade ist typisch gründerzeitlich; auffallend sind die Ornamente unter den Fenstersimsen, die eine siebenblättrige Pflanze symbolisieren und möglicherweise auf den einstmals religiösen Zeck dieses Hauses hinweisen könnten.

Als einziges Inventarstück des ehemaligen Betraumes fand Frau Magdalena Müllner eine Sammelbüchse mit der hebräischen Aufschrift „Matan Beseter“ (eine Gabe im Geheimen). Das 2005 in unmittelbarer Nähe dieses Hauses errichtete Denkmal soll an die 33 jüdischen Familien, erinnern, die hier in Laa gelebt haben und im Zuge der Schoah ihr Leben oder – wenn sie fliehen konnten – die Heimat verloren haben.

Ohne auf die schreckliche Ereignisse in den Jahren 1938 – 1945 jetzt näher eingehen zu wollen – sie waren Inhalt zweier vorangehender Vorträge -, schließe ich meine Ausführungen in der Hoffnung, Ihnen, meine Damen und Herren, vermittelt zu haben, dass die Geschichte der Juden in Österreich auch einen wesentlichen Bestandteil österreichischer Heimatgeschichte darstellt.

Ich danke für ihre Aufmerksamkeit!