Familie Fischbach Bloch
von Dr. Nora Fischbach Hirshbein
Kapitel 1 – Von Österreich nach Venezuela
Ich gehöre zur ersten Generation meiner Familie, die in Caracas, Venezuela, geboren wurde. Mein Vater ist Paul Fischbach Bloch und wurde in Klagenfurt, meine Mutter Cesia Ziona Hirshbein Kott in Fürstenfeldbruck geboren. Ich heiße Nora Fischbach Hirshbein, denn in Venezuela benutzen wir zwei Nachnamen. Fischbach Bloch ist österreichisch – meine österreichische Seite der Familie – und Hirshbein Kott die polnische.
Seit ich mich erinnern kann wurde mir gesagt – und ich habe es selbst so erlebt – dass die Fischbachs für sehr anerkannte Leute gehalten wurden und bis heute bedeutet der Name soviel wie „das Öl um den Tempel zu erhellen“. Eine Fischbach zu sein beinhaltet eine große Verantwortung, weil es heißt, dass man als Familienmitglied für seinen Namen verantwortlich ist: Ehrlichkeit, harte Arbeit, das Gesagte wie ein Versprechen einzuhalten und Pünktlichkeit sind von Bedeutung. Caracas ist nicht wie Wien oder Zürich, aber wenn ein Fischbach sagt, dass etwas um 3:23 geschieht, dann geschieht es genau um 3:23 und keine Minute früher oder später.
Seit meine Familie in Venezuela an Land ging, haben sie nicht nur für die jüdische Gemeinde und ihren Aufschwung gearbeitet, sondern auch für den des Landes. Sie machten Venezuela zu ihrem neuen Zuhause und hofften auf einen Neubeginn nach der Vertreibung aus Klagenfurt in Österreich.
Meine Großmutter – möge ihr Gedenken ein Segen werden – die in Caracas als „Frau Fischbach“ bekannt war, sagte mir, dass sie Österreicherin sei und stolz es zu sein. So änderte sie nie ihre Staatsbürgerschaft und erlernte Spanisch nie. Das hieß, sie meinte es sprechen zu können, sprach es jedoch mehr schlecht als recht und mit starkem Akzent.
In Österreich hatte sie viele Freunde. Das Leben war besonders in den Familienurlauben an der Donau von großer Leichtigkeit. Sie war glücklich und hatte die beste Zeit ihres Lebens.
Soweit ich es sagen kann, war die Familie Bloch hinsichtlich ihres Judentums traditionell geprägt, aber auch sehr in das österreichische Leben integriert.
Mein Großvater Max Fischbach – möge sein Gedenken ein Segen wurden – vergaß seine Heimat nie. Die Tropen haben ein sehr anderes Klima und Wetter als Österreich. Auch hatte er alles in der Kristallnacht (der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938) an die Nazis verloren, wurde nach Dachau gebracht und erst nach einiger Zeit von dort wieder entlassen. Ich denke, Venezuela war zu weit weg von seinem früheren Leben. So bekam er rheumatische Arthrose, was ihm viel Schmerz und Leid bereitete. Er war kein glücklicher Mensch mehr, nachdem er Klagenfurt verlassen musste. In Klagenfurt hatte ihm ein Bekleidungsgeschäft gehört, welchem während der Kristallnacht alle Scheiben eingeschlagen wurden.
Meine Großmutter sagte mir immer, dass er nach Dachau ein anderer Mensch war und dass er direkt nach seiner Entlassung damit begann, Vorbereitungen zu treffen. Er besorgte vier Pässe: für sich selbst, seine Frau Edith und seine beiden Kinder Paul und Evelyn.
Es ist bekannt, dass mein Großvater, Max Fischbach, seine Schwiegereltern aufsuchte, um sie zu fragen, ob er auch ihnen helfen sollte, Pässe zu beantragen, um aus Österreich fliehen zu können, aber sie schlugen dies aus, da sie meinten, sie seien Österreicher und hätten eine gute gesellschaftliche Stellung in Laa an der Thaya und so würden die Nazis sie nicht anrühren.
Max Fischbach verließ Klagenfurt gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern, seinem Bruder Ignatz Fischbach, dessen Frau Mira und deren Söhnen Herbert und Karl Heinz – möge ihr Gedenken ein Segen sein. Sie gingen in Hamburg an Bord eines Schiffes, das ein unbekanntes Ziel ansteuerte. Eigentlich war es ein Verbund von zwei Schiffen, die SS Königstein und die SS Caribia, beide voller Juden, die an verschiedenen Orten anlegen wollten. Es gelang ihnen aber erst, als sie Venezuelas Küste erreichten. [1]
Venezuelas Präsident war Eleazar López Contreras. Zuerst wollte der diese Juden nicht ins Land lassen, doch dann entschloss er sich doch dazu. So konnte meine Familie in Puerto Cabello, einem venezolanischen Hafen nicht weit von der Hauptstadt Caracas an Land gehen. Meine Verwandten unter den Flüchtlingen waren Max Fischbach, Edith Fischbach (geborene Bloch), mein Vater Paul Fischbach Bloch und Evelyn Fischbach Bloch zusammen mit Ignatz Fischbach (der Bruder meines Großvaters) – möge ihr Gedenken ein Segen sein.
Hierzu ist anzumerken, dass die Venezolaner diese Flüchtlinge mit offenen Armen begrüßten. Da das Dampfschiff nicht den Hafen anlaufen konnte und es dunkel war, zündeten die Venezolaner Kerzen und Fackeln an, um dem Schiff beim Navigieren zu helfen. Sie brachten den Passagieren auch Bananen und tropische Früchte.
Meine Familie war nun sicher in Venezuela.
Das ist ein Dokument, das dem Kapitän der Königstein ausgehändigt wurde. Obwohl er Mitglied der Nazi-Partei war, beschrieben ihn die Passagiere als nett und freundlich.
[1] Die SS Königstein und die SS Caribia waren ein Verbund von zwei deutschen Dampfschiffen, die zwischen Februar und März 1939 300 jüdische Flüchtlinge aus Europa nach Venezuela brachten. Die Königstein, mit 86 Juden an Bord, verließ Deutschland im Jänner 1939 in Richtung der Britischen Kolonie Trinidad, doch als sie dort ankam, erlaubten die Briten den Passagieren nicht, an Land zu gehen, da es ein neues Gesetz bezüglich der Aufnahme von Flüchtlingen gab. Deshalb fuhr die Königstein weiter nach Honduras, aber wieder durften die Menschen nicht von Bord. Da sie nicht wussten, wo sie hin sollten, fuhr das Schiff weiter nach Venezuela, wo es am 17. Februar 1939 ankam. Die SS Caribia, auf welcher sich 165 Juden befanden, befand sich auf einer ähnlichen Irrfahrt. Nachdem sie nach British Guyana gefahren war, erlaubten die Behörden den Passagieren in Georgetown nicht, von Land zu gehen. So kam auch die Caribia am 16. März 1939 in Venezuela an.
Zuerst erlaubte die Regierung Venezuelas nur vorübergehend die Einreise – bis neue Aufnahmeländer in Lateinamerika gefunden werden sollten. Die Passagiere durften aber nur in der Landwirtschaft arbeiten. Außerdem stellte die venezolanische Regierung klar, dass sie keine weiteren Flüchtlinge aufnehmen würden, wenn sie nicht auf offiziellem Weg einreisten. Später erlaubte Präsident Contreras den Flüchtlingen zu bleiben.
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