Mähren

Ausflug ins jüdische Südmähren

Ein Reisebericht: Von Znoimo nach Safov, von Podivin nach Mikulov

Beim folgenden Aufsatz handelt es sich um eine Niederschrift, die ich beim Durchsehen meiner ältesten Unterlagen gefunden habe. Man beachte bei der Lektüre, dass dies die Betrachtungen einer 17-jährigen Schülerin sind. Da das Erlebte fast vergessene Orte beschreibt, seien sie hiermit in Erinnerung gerufen.

Jüdischer Friedhof Schaffa

Reise zu den mährischen Stätten jüdischer Kultur

Datum: Donnerstag 16. 7. 1992

Unsere Reise begann um etwa 7:45 Uhr in Laa. Unsere erste Station war HanfthaI, wo sich meine Freundin Daniela uns anschloss. Wir überquerten den Grenzübergang Mitterretzbach – welcher sich zur Zeit gerade in Bau befand – ohne Probleme und fuhren in Richtung Satov, was bei Znaim liegt.

Eine 94-jährige Laaerin hatte mir zuvor berichtet, daß es in Mähren zwei rein jüdische Dörfer gegeben hatte, nämlich Schaffa und Kossel. In Satov vermuteten wir das ehemalige Schaffa zu finden. Noch vor der Einfahrt zum Dorf fanden wir den Friedhof, wo wir gleich Station machten. Der Friedhof war eindeutig noch nicht sehr alt und wir fanden nur einen älteren Stein, der jüdischer Herkunft sein konnte. Eine der beiden Schrifttafeln war weg, die andere verblaßt und unleserlich. Der Grabstein hatte die Form der Gebotstafeln und es war kein Kreuz darauf zu finden. Stattdessen war über den Gebotstafeln ein Herz in den Stein geschlagen. Da sich auf diesem Friedhof sonst nichts von Interesse auffinden ließ, fuhren wir eine Runde durch das Dorf. Hier befanden sich zum Teil auch recht alte Häuser und unser Verdacht bestätigte sich noch mehr, als ein Haus zur Verzierung Weinreben auf der Fassade aufwies.

Vor einem Haus saß eine alte Frau, die Daniela auf Tschechisch befragte, aber jene sagte uns, daß es hier keine Juden gegeben hätte. Nach vergeblicher Suche nach dem Pfarrer des Ortes befragte Daniela eine jüngere Frau, die uns zu einer älteren Frau führte, welche hervorragend Deutsch sprach und so stellte sich heraus, daß es eine Namensverwechslung gegeben hatte und der richtige Ort Safov heißt. Weiters erfuhren wir, daß es in Znaim auch einen Judenfriedhof geben sollte. Diese Stadt wurde somit zu unserer nächsten Station. Nachdem Daniela mehrere Leute befragt hatte und wir uns kurz verfahren hatten, wurde der Friedhof in der Nähe des neuen Krankenhauses entdeckt. Dieser war allerdings von einer ziemlich hohen, noch sehr stabilen Mauer umgeben und lag direkt an einer stark befahrenen Straße.

Ein paar Eindrücke: Dieser Friedhof ist sicher schon seit Jahrzehnten nicht betreten worden. Alles ist mit Gesträuch überwachsen und da fast alle Grabsteine aus schwarzem Marmor sind, fehlen die meisten. Die übrig gebliebenen Grabsteine lassen sich mit denen in Mistelbach kaum vergleichen, denn es sind zum Teil richtige Monumente, die die Größe einer Häuserfront haben. In der Mitte sind die Reste einer Aufbahrungshalle zu finden. Der Zustand des Friedhofs ist sehr schlecht. Eine der Gruften – die es in großem Maß gibt – war sogar eingebrochen und man muß ständig Angst haben, einzubrechen. Was die Größe des Friedhofs betrifft, so wird sie etwa die des Laaer Friedhofs (katholisch) erreichen.

Brno: Grabstein am jüdischen Friedhof

Es war etwa 11 Uhr, als wir in Safov ankamen. Vor der Tür auf einer Bank des einzigen Geschäftes dieses Ortes (kleiner als HanfthaI) saß eine etwa 80-jährige Frau, die uns in recht gutem Deutsch erzählte, daß es hier früher viele Juden gegeben hat und der Ort in einen jüdischen und einem christlichen Teil aufgeteilt war. Nach ihrer Aussage sind die Juden hier „erst“1945 weggeholt worden. Sie erklärte uns auch, wo der jüdische Friedhof zu finden sei.

Was allerdings noch keine Sicherheit war, daß wir ihn fanden. So fanden wir zuerst nur Felder mit Salat und der sah noch ziemlich lebendig aus. So mußten wir (eigentlich Daniela) noch einmal fragen und hatten wirklich Glück, jemanden zu finden, der sich auskannte. Der Weg war ziemlich holprig und wir hätten ihn wohl auch nicht gefunden (den Friedhof), wenn wir nicht einen Feldstecher mitgehabt hätten. Der Friedhof ist nämlich in einem Wäldchen gelegen.

Hier erwartete uns die erste riesige Überraschung und in den nächsten Zeilen will ich besonders meine Eindrücke wiedergeben. Im ersten Moment glaubt man, da wären vielleicht 5 Grabsteine, die direkt unter Bäumen stehen bzw. liegen, doch schaut man auf, so sieht man, daß das nicht alles ist, sondern noch eine unglaubliche Zahl von Gräbern daran anschließt und sich dieses Gräbermeer über die ganze Lichtung erstreckt. Man kann nicht beschreiben, was man bei diesem Anblick empfindet.

Schaffa: Der Friedhof erstreckt sich über den gesamten Abhang

Die meisten der Steine sind aus Sandstein und im Gegensatz zu Znaim wurde hier kein einziger Grabstein gestohlen. Sehr viele dieser Steine haben ausschließlich hebräische Aufschrift (die vor 100 – 150 Jahren haben alle deutsche Aufschriften und nur hebräische Sprüche) und ich schätze, daß die ältesten dieser Grabsteine etwa 400 – 500 Jahre alt sind. Ich war überwältigt von diesem Anblick. Nicht im Traum hätte ich mir nur ähnliches erwartet. Der Friedhof ist an einem Hang angelegt und ich schätze, daß er mindestens 100 (vielleicht auch viel mehr) Gräber umfaßt. Nie werde ich die Minuten vergesse, als ich diesen Friedhof betrat. Auffallend ist, daß es hier keine Grabumrandungen gibt. Die Größe der Grabsteine ist sehr unterschiedlich. Manche reichen mir nicht einmal bis zum Knie, andere überragen bei Weitem meine Größe. Auch die großen Gräber sind eigentlich fast alle von oben bis unten mit hebräischen Schriftzeichen vollgeschrieben. Bemerkenswert ist, daß dieser Friedhof äußerst unberührt geblieben ist. So bin ich mir sicher, daß die wenigen Steine, die umgefallen sind, von selbst umgefallen sind.

Schaffa: uralte Grabsteine zeugen von einer sehr langen jüdischen Geschichte

Früher dürfte der Friedhof mit einer Mauer umrandet gewesen sein, doch davon ist heute nicht mehr viel übrig. Wie es scheint, dürfte der Friedhof ziemlich unbekannt sein, denn Frain ist nur wenige Kilometer davon entfernt und da tummeln sich die Touristen zu Hunderten. Oft dürfte hier niemand vorbeikommen, denn das Unkraut wächst ungehindert und nur auf einem der Grabsteine war ein Stein. Bei einem der Gräber hat vor einiger Zeit (war schon Gras darübergewachsen) jemand ein Photo von einem der kleineren Grabsteine verloren.

Schaffa: im Hintergrund Rest der Friedhofsmauer

Es war eine unglaubliche Entdeckung für mich und ich glaube auch für die anderen. Am Liebsten wäre ich ja noch länger geblieben, aber wir hatten noch einen langen Weg vor uns und es erwarteten uns noch einige weitere faszinierende Entdeckungen.

Wir hatten beschlossen, Podivin (das ehemalige Kostel) als nächstes Ziel anzusteuern. In Kleinhaugsdorf passierten wir den Grenzübergang. In Haugsdorf kehrten wir kurz in einem Gasthof ein und nach etwa einer Stunde oder etwas mehr fuhren wir schon wieder über den Grenzübergang Drasenhofen auf tschechisches Gebiet. Podivin ist eine größere Ortschaft. Wir hatten uns inzwischen darauf schon spezialisiert, ältere Leute anzusprechen, da die zum Teil Deutsch sprachen. Die beiden Frauen, die wir hier befragten, konnten allerdings überhaupt nicht deutsch, brachten uns aber zu einer anderen Frau, die halbwegs gut deutsch sprach. Allgemein muß gesagt werden, daß wir immer nur auf sehr freundliche und hilfsbereite Menschen stießen, die sich alle sehr bemüht haben, uns weiterzuhelfen. Hier erfuhren wir, daß Podivin wirklich einmal einen sehr hohen Anteil von Juden hatte, der aber sehr gut mit der christlichen Bevölkerung bekannt war und es sehr viele Freundschaften gegeben hat. So hat die Frau erzählt, daß sie mit sehr vielen Juden sehr gut befreundet war und wie sehr sie geweint hat, als die Juden 1942 weggeholt wurden und man nicht wußte, wieso sie weggeholt werden und wo sie hinkommen. Nach ihrer Aussage sind 2 der vielen Juden zurückgekommen, aber vor kurzem verstorben (wir fanden die angegebenen Namen am Friedhof). Sie erzählte uns auch, daß es in Lundenburg eine sehr große jüdische Gemeinde gegeben hat. Auf Tschechisch erklärte sie uns vage den Weg zur Synagoge und zum Friedhof. Natürlich fuhren wir vorbei und mußten so nochmals in einem Gasthaus nach dem Herrn Marek (er sollte den Schlüssel haben) fragen. Der Wirt half uns gleich sehr freundlich weiter und beauftragte seine kleine Tochter, uns den Weg zu zeigen. Herr Marek war zwar nicht zu Hause, aber die Synagoge wurde gerade renoviert und die Arbeiter waren so nett, uns in den Friedhof zu lassen.

Podivin: Synagoge von außen / blaue Farbreste an der Decke
Inschriften im Inneren

Was die Anzahl der Grabsteine betrifft, so waren etwa so viele wie in Schaffa vorhanden. Die alten Sandsteine waren nicht berührt, aber von den neueren Steinen waren fast nur mehr die Sockel vorhanden. Dieser Friedhof war etwa genauso groß wie der in Schaffa, also etwa so groß wie der Laaer Friedhof. Es ist kaum zu glauben, wie groß und blühend das Judentum eingewurzelt war. Diese Eindrücke kann man wohl nicht schildern, man muß das sehen. Wie bereits gesagt wurde die Synagoge gerade renoviert. Groß war sie nicht besonders. Es ist ein runder Bau mit einer innen blauen Kuppel (wie in allen Synagogen?). Links und rechts ist in der Größe eines Bildes ein Absatz hebräischer Schrift aufgemalt, welche noch recht gut lesbar ist. Wie beim Friedhof in Schaffa gab es feine Grabeingrenzungen. Auf den Sandsteinen steht ebenfalls alles in Hebräisch.

Auch will ich bemerken, daß hier der Bekanntheitsgrad des Friedhofes viel größer zu sein scheint. Es war vollkommen unmöglich, mehr als ein paar Einzelaufnahmen und vor allem Gruppenbilder zu machen.

Podivin: jüdischer Friedhof

Das jüdische Leben hier in Südmähren, aber wahrscheinlich nicht nur hier, sondern auch in Österreich, muß unendlich reichhaltig und verbreitet gewesen sein. Erst jetzt kann ich verstehen, wieso fast jeder, den ich bis jetzt interviewt habe, gesagt hat, daß in Laa ja gar nicht so ausgesprochen viele Juden gelebt haben, obwohl es 60 bis 100 Menschen gewesen sein müssen.

Wir verließen schließlich um etwa 16 Uhr Podivin und steuerten nach einem kurzen Aufenthalt auf Nikolsburg / Mikolov zu, was mir immer als „die Judenstadt “ geschildert wurde. Nikolsburg ist sehr stark durch die alten Häuser geprägt. (Bei der Rückfahrt fiel mir übrigens ein Haus auf, das dieselbe Fassade wie unsere Laaer Synagoge hatte = Blatt mit 7 einzelnen Blättern und Blumen links und rechts) Daniela sprach auf Tschechisch eine etwa 70-jährige Frau an, die allerdings hervorragend Deutsch sprach. Sie führte uns zu Fuß zur Synagoge und zum Friedhof. Auch konnte sie bestätigen, daß die Juden von Nikolsburg sehr orthodox waren, d.h., daß die Frauen immer ein Kopftuch trugen und die Männer immer einen Hut. Außerdem trugen die Männer auch noch die Baikeles (=Schläfenlocken). Heute sollen noch 2 Schwestern mosaischen Glaubens in Nikolsburg leben, die allerdings nicht wollen, daß andere wissen, daß sie Juden sind. Wir hätten uns den Schlüssel bei einem Mann ausborgen können, doch als wir sahen, was wir sahen, verschoben wir dies auf ein anderes Mal. Die Synagoge ist äußerst gut erhalten: „Man könnte glauben, daß morgen am Schabbat alle zum Schabbateingang kommen.“ Der Friedhof ist wiederum von einer hohen Mauer umgeben, doch wäre jemand von uns so wahnsinnig gewesen, über die Mauer zu klettern oder davon herunterzufallen, er hätte sich mit Garantie alle Knochen gebrochen.

Mikulov: Rabbinergräber (späteres Foto)

Aber jetzt zum Friedhof an sich. Ich habe noch nie so einen großen Friedhof gesehen! Es gibt hier sicher mindestens 1000 Grabsteine, alte und neue. Man kann nicht schätzen, wie groß er eigentlich ist, aber in ihm hätte mindestens 2 Mal der Laaer (christliche) Friedhof Platz. Man hat mir erzählt, daß es in Nikolsburg einen sogenannten „MOISCHERLBERG“ gegeben hätte, der so geheißen habe, weil hier so viele Juden gewohnt haben, aber ich bin mir sicher, daß das der Moischerlberg ist, denn dieser Friedhof zieht sich über den ganzen Hügel. Nie hätte ich das für möglich gehalten. Es ist unglaublich, wie viele Juden hier früher gelebt haben. Als die Nazis kamen, muß ganz Mähren entvölkert gewesen sein.

Eines ist ganz sicher, und das wußten wir genau, als wir in Richtung Österreich fuhren: Heute ist nicht alle Tage, wir kommen wieder, keine Frage.