Interview Frau G.

Interview mit Frau G.


Interview durchgeführt am 1. 12. 1991

Ich machte dieses Interview vielleicht einen Monat oder auch zwei, nachdem ich meine Recherchen begonnen hatte. Es war der erste Hinweis auf den Pfarrhof. Damals war mir nicht bewusst, dass es sich bei den Leuten, über die meine Interviewpartnerin sprach, nicht um die jüdische Gemeinde handelte, sondern um eine Gruppe jüdischer Zwangsarbeiter, wie sich später herausstellte. Sie konnte das Gesehene auch nicht entsprechend zuordnen, da sie ein kleines Kind gewesen war.

Laaer Pfarrhof

„Ich war 5 oder 6 Jahre alt. Wir sind einkaufen gegangen und da mussten wir am Pfarrhof vorbeigehen. Dort sind viele Menschen zusammengetrieben gewesen – also, wir hatten viele gesehen. Das Tor war offen und da waren die Menschen drinnen und auch ein paar heraußen. Die waren sehr aufgeregt und voller Angst. Das hat man in ihren Augen gesehen, so, als wenn man jemanden mit Hunden hetzt. Wie ich mich erinnere, waren es fast nur Frauen und Kinder. Meine Mutter hat mich damals überall hinnehmen müssen, denn ich hatte meine erste Mutter mit 3 Jahren verloren und da ich nicht gewusst habe, dass sie gestorben ist, habe ich geglaubt, dass sie mir weggelaufen ist und so habe ich mich immer an meine zweite Mutter geklammert. Meine Mutter hat gesagt, ich solle nicht hinschauen und wir sind schnell am Pfarrhof vorbeigegangen, obwohl meine Mutter ein guter Mensch war und sicher gerne helfen wollte. Dann haben wir eingekauft, auf dem Heimweg mussten wir aber wieder beim Pfarrhof vorbei. Wir sind mit gesenktem Kopf und ganz schnell in einem Bogen vorbeigegangen. Ich habe aber ein Mal zur Seite gesehen und das werde ich mein Lebtag nicht vergessen: Da war eine ganz junge Mutter, die hatte ihr Neugeborenes in einer Zeitung eingewickelt und hat uns das Kind gezeigt. Ich habe kein Wort gehört, aber sie hat sicher um Gewand für es gefleht. Meine Mutter hätte ihr sicher was gegeben, wenigstens ihre Weste, aber sie hat gewusst, dass sie uns dann auch mitnehmen würden oder uns getrennt hätten. Mein Vater war eingerückt und ich hab nur sie gehabt. Meine ganze Jugend habe ich nichts Ähnliches erlebt. Meine Mutter hat mich immer von Gefahren fernzuhalten versucht. Zu Hause ist auch später nicht viel über das geredet worden, so wie es in allen Geschichtsbüchern steht. Es war so traurig, weil man zusehen musste und nicht helfen konnte. Ich weiß aber, dass das meine Mutter bis zu ihrem Tod bedrückt hat, dass sie der Frau nichts geben hat können.“

Kannst du dich erinnern, wer die Menschen zusammengetrieben hat?

„Nein, gar nicht. Ich habe keinen Menschen gesehen, den ich gekannt habe, aber ich habe überhaupt wenige Leute gekannt. Vielleicht waren da Leute, die aufgepasst haben, aber die habe ich nicht wahrgenommen. In meiner Erinnerung ist aber dieses Tor nur ein großes Loch.“

Wie viele Menschen waren es etwa?

„Ich weiß es nicht, aber dieses Loch, das Tor, war voll.“

Eingang zum Pfarrhof

Hat dir deine Mutter erklärt, was da vor sich geht, bzw. hast du sie gefragt?

„Ja, zu Hause hat sie mir gesagt, dass man uns getrennt oder umgebracht hätte, wenn sie der Frau etwas gegeben hätte, aber das war schon später. Sie hat es nur mir zuliebe getan.“

Weißt du, wieso gerade im Pfarrhof die Leute zusammengetrieben worden sind?

„Nein, bis heute nicht. Jetzt, wo ich erfahren habe, wo die Synagoge war, denke ich, dass man sie vielleicht dort hin gebracht hat, dass sie nicht vor der Mühle stehen müssen, aber das ist nur ein Gedanke von mir.“

Zu welcher Uhrzeit seid ihr etwa vorbeigegangen?

„Ich denke, es muss am Vormittag gewesen sein, weil wir ja einkaufen gegangen sind.“

Welche Jahreszeit war es?

„Es war kalt und trüb, so wie ich mich erinnere. Ein grausliches Wetter. Vielleicht war es Herbst.“

Hat dir deine Mutter erklärt, wieso das geschieht?

„Vielleicht hat sie es mir nicht erklärt, vielleicht habe ich es aber vergessen, weil ich es nicht verstanden habe.“

Inwieweit hast du gewusst, was mit den Menschen geschehen wird?

„Damals habe ich mir gedacht, dass man Menschen absondert, wenn man sie nicht will, aber ich dachte mir, die haben doch bestimmt nichts getan.“

Waren noch andere Leute dort?

„Für mich waren alle Leute dort Fremde, auch wenn sie vielleicht aus Laa waren. Allein bin ich nirgends hingegangen. Ich kannte nur die Nachbarn, den Kaufmann und den Bäcker.“

Erinnerst du dich an die Synagoge?

„Nein, nicht einmal an die, obwohl sie ja nicht weit weg war. Ich kann mich nur an das Gasthaus erinnern, aber das ist aus einer späteren Zeit.“